Konfliktstrategie wird offensichtlich unbewusst gelernt
TV-Vorbilder prägen Streit in der Partnerschaft
Beziehungsprobleme, Familienzwist oder Intrigen am Arbeitsplatz zwischenmenschliche Konflikte sind die Würze, wenn nicht der Basisgeschmack von Fernsehserien. Typisch ist dabei die lautstarke Eskalation des Konfliktes, dagegen gelten zwischenmenschliches Vertrauen und Verständnis als Killer jeder Dramaturgie. Schönes, spektakuläres Theater – doch leider mit durchschlagender Wirkung auf die Wirklichkeit. Offensichtlich orientieren sich junge Paare beim Streiten an ihnen vertrauten TV-Figuren.
Oft brechen Frauen den Streit vom Zaun. Die TV-typischen Geschlechter-Stereotype gestatten diese Charakterzuweisung. Je nach Serie (und deren angepeilter Zielgruppe) werden zwischen 1,05 und bis zu 8,79 soziale Konflikte pro Fernsehstunde ausgetragen. Nörgeleien, verbale Herabsetzung angeblich geliebter Personen, der rücksichtslose Wille im Wortgefecht zu obsiegen (auch wenn das langfristigen Interessen schaden könnte), gemeine Vorhaltungen, lautstarker Streit mit Ausfälligkeiten, Hinterhältigkeit und Intrigantentum werden als legitime Mittel der sozialen Auseinandersetzung präsentiert.
Ein Forscherteam um Prof. Dr. David Rhea, Governors State University (University Park südlich von Chicago, Illinois, USA) untersuchte das Streitverhalten von jungen Paaren. Einige waren Fans der Serie „Greys Anatomy“. Dabei handelt es sich um eine mehrfach preisgekrönte Krankenhausserie um fünf Assistenzärzte (>208 Folgen in 10 Staffeln). Andere Serien waren „OC California“ (Teenager, 92 Folgen in 4 Staffeln), „The Real World“ (Wohngemeinschaft unter Dauerbeobachtung, 25 Staffeln) oder „Nip/Tuck“ (Schönheitschirurgen, 100 Folgen in 6 Staffeln), die in großer Dichte Beziehungskonflikte präsentieren.
Obwohl auch hier die Streithansel zumeist weiblich sind, übernehmen offensichtlich vorrangig männliche Zuschauer die dargebotenen Streitstrategien. Wer zu Tätlichkeiten neigt, in der aktuellen Beziehung nicht glücklich ist oder psychische Probleme hat, scheint eher bereit zu sein, die Fernsehcharaktere zum Vorbild zu nehmen. Befragt wurden College-Studenten im Alter von 17 bis 43 Jahren, wie regelmäßig und ausdauernd sie solche Fernsehserien ansehen und für wie realistisch sie deren Handlung halten. Danach wurden sie nach ihrem persönlichen Konfliktverhalten befragt, insbesondere nach ihrer Neigung, den Partner zu steuern.
Es zeigte sich eine enge Korrelation zwischen der Intensität des Konsums von Fernsehserien und der Übernahmen von Streitverhalten. Besonders ausgeprägt war dies für die Neigung, den Partner durch das adaptierte Konfliktverhalten zu kontrollieren. Die Forscher gehen davon aus, dass dieses – für den Fortbestand einer liebevollen Partnerbeziehung zumeist kontraproduktive – Verhalten, von den TV-Figuren übernommen wurde. Bei Serien-Fans und Dauerkonsumenten erstaunte dieses Ergebnis die Forscher nicht. Doch auch Menschen, die solche Serien nur sporadisch ansahen haben das dabei kennengelernte Konfliktverhalten übernommen, wenn auch nicht in der selben Konsequenz wie die Fans.
In ihrem Fazit vermuten die Forscher, dass Konfliktverhalten von vertrauten Personen (häufig und regelmäßig gesehen, gut bekannte Charaktere) automatisch, also ohne kognitive Kontrolle, übernommen wird. Dieses soziale Lernen sei unbewusst und könne daher eben auch von Nachteil sein.
Ein anderer Erklärungsansatz wäre, dass die TV-Serien ein Sozialverhalten genehmigen, das im wirklichen Leben zuverlässig negativ sanktioniert wird. Was zählt ist der kleine kurzlebige Sieg im Streit, dessen langfristigen Folgen keine Rolle spielen. Stets wird in den Serien das soziale Überleben der Figuren präsentiert, denn die nächste Staffel soll doch auch noch abgedreht werden. Im wirklichen Leben sind die sozialen Kosten eines eskalierenden Streits oft deutlich höher als in der Fernseh-Fiktion. Je nachdem, wie tief Menschen in diese Scheinwelt eintauchen, geraten sie beim Kontakt mit echten Sozialpartnern schnell ins Schwimmen.
Quellen: Aubrey, J.S. et al. (2013): Conflict and Control: Examining the Association Between Exposure to Television Portraying Interpersonal Conflict and the Use of Controlling Behaviors in Romantic Relationships. Communication Studies 64(1): 106-124. doi:10.1080/10510974.2012.731465
Erstellt am 27. Dezember 2013
Zuletzt aktualisiert am 27. Dezember 2013

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