Die hohe Dunkelziffer bedeutet, dass viele Patienten ohne angemessene Therapie leben müssen

Männer sind ebenso oft depressiv wie Frauen

von Holger Westermann

Doch sie wollen die psychische Erkrankung nicht wahrhaben und weigern sich typische Anzeichen wahrzunehmen. Zupass kommt ihnen dabei, dass die öffentliche Schilderung von Symptomen stark frauenfokussiert ist. Die Depression äußert sich bei Männern jedoch grundlegend anders als bei Frauen.

Auch bei Männern führt eine Depression zu unerklärlichen Stimmungsschwankungen, anhaltende Niedergeschlagenheit, substanziellen Selbstzweifeln oder quälende Schlafstörungen, doch sie kompensieren diese psychischen Krisen auf andere Weise als Frauen*. So neigen Männer häufiger dazu auf depressive Episoden mit Aggressionen und gesteigerte Risikobereitschaft zu reagieren. Viele Betroffene, deren soziales Umfeld und auch Ärzte erkennen in diesem eher extrovertierten Verhalten keinen Hinweis auf Depression.

So erstaunt es nicht, dass Frauen doppelt so häufig wie Männer aufgrund einer Depression behandelt werden. Doch dies ist nicht nur eine Folge männerignorierender Diagnostik, sondern auch Folge des Männerbildes der Betroffenen. „Mit dem Arzt über seine seelische Verfassung zu sprechen, geschweige denn von depressiven Verstimmungen zu berichten, ist für viele Männer nach wie vor ein Tabubruch“, zitiert das Deutsche Ärzteblatt Prof. Dr. Harald Gündel, Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Ulm.

Eine aktuelle Studie der Universität Michigan (USA) stützt diese Vermutung. Die Auswertung der Krankenakten von 3.300 Frauen und 2.400 Männern erlaubte die Überprüfung der Zuverlässigkeit von Depressionsdiagnosen. Dabei zeigte sich, dass Männer häufiger über Wutanfälle oder Aggressionen, Alkohol- oder Dorgenexzesse sowie unfallträchtiges Verhalten (Straßenverkehr, Sport) berichteten als Frauen. Die Forscher erweiterten daraufhin die Diagnosekriterien um genau diese typisch männlichen Symptome. Bei einer erneuten Auswertung der Krankenakten wurden nun bei annähernd genauso vielen Männer (30,6%) wie Frauen (33,6%) eine Depression identifiziert. Eine geschlechtertypische Häufung von Depression bei Frauen, wie sie bei der Erstauswertung noch angezeigt wurde (25% bei Frauen, 12% bei Männern), war nicht mehr feststellbar.



*Männer und Frauen werden hier als einander ausschließende Personenkreise dargestellt. In Hinblick auf die Symptome der Depression ist die Trennung nicht so radikal. Selbstverständlich gibt es auch Männer, die eine eher weibliche Symptomatik zeigen und Frauen, bei denen die Depression eine männliche Form annimmt.

Quellen:

Martin, L.A. et al. (2013): The Experience of Symptoms of Depression in Men vs WomenAnalysis of the National Comorbidity Survey Replication.
Journal of the Ameican Medical Aassociation (JAMA) Psychiatry 70(10):1100-1106. doi:10.1001/jamapsychiatry.2013.1985.

Depressionen bei Männern oft unerkannt. Artikel im Deutschen Ärzteblatt, online veröffentlicht am 14.11. 2013.

Erstellt am 16. November 2013
Zuletzt aktualisiert am 17. November 2013

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