Höfliche Konversation ist kein Privileg von Homo s. sapiens

Weißbüschelaffen lassen einander ausreden

von Holger Westermann

Diese erstaunliche Meldung fand Wiederhall in einer Vielzahl von Medien im Internet aber auch in der gedruckten Presse. Es wurde über „Gesprächsstil“ und „Etikette“ bei den Affen fabuliert: „Die Konversationen der Weißbüschelaffen ähnelten denen von Menschen, die in einem Gespräch typischerweise abwechselnd reden und den anderen ausreden lassen, bevor sie antworten.“ Eltern wissen es oft besser, denn unter Menschen klappt das nicht zwingend zuverlässig. Sind Affen am Ende disziplinierter in der Kommunikation als Kinder und Jugendliche – oder Politiker in Talkshows?

Manchmal hilft es, die Tiere zu kennen, über die geschrieben wird. Weißbüschelaffen (Callithrix jacchus jacchus) sind sehr kleine Primaten, etwas größer als ein Eichhörnchen (300 – 400g). Ihr natürliches Verbreitungsgebiet ist der brasilianische Galeriewald entlang von Flussläufen, aber auch in Parks von Großstädten können sie angetroffen werden. Im Gegensatz zu sehr nah verwandten Arten sind Weißbüschelaffen in ihrem Bestand nicht bedroht.

Stabile Sozialverbände der Weißbüschelaffen sind Familien, ein Elternpaar und deren Nachkommen. Erwachsene Töchter und Söhne bleiben eine Zeit lang, oft mehrere Jahre, im elterlichen Sozialverband und helfen bei der Aufzucht jüngerer Geschwister. Während dieser Zeit sind auch bereits erwachsene Nachkommen von der Reproduktion ausgeschlossen. Die Mutter bringt alle 5,5 Monate Zwillinge zur Welt, da ist die Unterstützung durch erwachsene Kinder hilfreich. Zumal sich Sozialverbände mit mehreren erwachsenen Mitgliedern besser gegen Nachbarn durchsetzen können.

Die Familienmitglieder verlieren sich im dichten Blättergewirr der Galeriewälder häufig aus den Augen, der natürliche Lärmpegel macht eine akustische Orientierung schwer. Um den Zusammenhalt dennoch sicher zu stellen nutzen die Weißbüschelaffen einen durchdringend hochfrequenten Distanzlaut (phee-call), der über weite Strecken zu hören und gut zu orten ist. Dieser phee-call dient auch zur akustischen Reviermarkierung, Nachbarn werden über Aufenthaltsort und Gebietsanspruch informiert. Für die möglicherweise detailreichere Informationsvermittlung im Nahbereich nutzen die Tiere eine Vokalisation, die an Vogelgezwitscher erinnert.

Ein US-amerikanisches Forscherteam hat sich nun auf die Kommunikation über phee-calls konzentriert. Dabei zeigte sich, dass unabhängig vom Verwandtschaftsgrad (und damit auch der Vertrautheit) der Tiere, die phee-calls nie gleichzeitig ausgestoßen wurden. Da phee-calls oft auch in Serie abgegeben werden ist dafür eine Abstimmung der Tiere notwendig. Offensichtlich warten sie zumindest 5 Sekunden, ob die phee-call-Serie des Kommunikationspartners fortgesetzt wird.

Dieses Verhalten erscheint sinnvoll, denn die Kommunikation über Distanzlaute beinhaltet „Ich bin hier, wo bist Du?“ und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um ein Familienmitglied oder ein Tier aus der Nachbarschaft handelt. Eine wechselseitige Unterbrechung, gerade mit einem eigenen hochfrequenten lauten Ton, würde die komplette Information zunichte machen. Führt man sich vor Augen, dass ein phee-call nicht nur Artgenossen, sondern auch Raubfeinden die Position des Affen verrät, erstaunt es nicht, dass sich im Verlauf der Evolution das wechselseitige Rufen etabliert hat.

Bei der familiären Kommunikation im Nahbereich (face-to-face-communikation) geht das Gezwitscher durchaus durcheinander. Doch das wurde von den Forschern nicht untersucht. Es kann also keine Rede davon sein, dass sich Krallenaffen prinzipiell an eine strenge Gesprächsetikette halten und mit dem eigenen Kommunikationsbeitrag warten, bis alle anderen schweigen. Unter diesem Aspekt sind Weißbüschelaffen eben doch nicht bessere Primaten als Homo sapiens sapiens.

Quellen:

Takahashi, D.Y. et al. (2013): Coupled Oscillator Dynamics of Vocal Turn-Taking in Monkeys. Current Biology 23(21): 2162-2168. doi: 10.1016/j.cub.2013.09.005

Erstellt am 15. November 2013
Zuletzt aktualisiert am 15. November 2013

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