Wetter

Wetter ist relativ

von Holger Westermann

Im täglichen Wetterbericht wimmelt es von meteorologischen Fachbegriffen: Warmfront, Tiefdruckrinne, Höhentrog. Einige wurden bereits auf Menschenswetter erklärt. Dazu zählt auch die gefühlte Temperatur, wodurch die Wirkung von Wind, Wärmestrahlung, Schwüle, Feuchtigkeit, Niederschlag und Kälte auf den Körper sehr viel besser dargestellt wird als durch den Thermometerwert. Oft werden im Wetterbericht aber auch Bewertungen vorgenommen, die einen konkreten Vergleichswert vermissen lassen: mäßig warm, mild, zunehmend freundlicher. Obwohl diese Angaben relativ unvollständig sind, fühlen sich die meisten Menschen gut informiert.

Klar definiert sind die Begriffe Sommertag (ab 25°C aufwärts), heißer Tag (ab 30°C aufwärts), Tropennacht (nächtliches Minimum über 20°C). Im Winter ist oft von einem Eistag (nicht über 0°C), sowie leichtem, mäßigen und strengem Frost die Rede. Dabei wird bei nächtlichen Minimum zwischen 0 und -4° von leichtem Frost gesprochen, von mäßigem Frost bei -4 bis -10°C, von strengem Frost von -10 bis -15°C und unterhalb von -15°C von sehr strengem Frost.

Schwieriger zu interpretieren sind meteorologisch unbestimmte, aber dennoch in Wetterberichten beliebte Begriffe wie beispielsweise mäßig warm, mild oder kühl. Dahinter verbergen sich saisonabhängige Grenzwerte, die „sich an langjährigen Beobachtungen sowie daraus resultierenden Mittelwerten orientieren“ (Charakterisierung des Deutschen Wetterdienstes, DWD). Man könnte auch sagen, dass sie vor Jahren einmal willkürlich so festgelegt wurden und sich seither bewährt haben. Denn die Menschen sind inzwischen mit den Bezeichnungen ihres Wetterberichts vertraut und können sie zuverlässig übersetzen, auch wenn ihnen die präzise Übersetzungsanleitung nicht bekannt ist.

So spricht man im meteorologischen Sommer* (Juni, Juli, August) von mäßig warm, wenn die Tageshöchsttemperatur zwischen 21 und 2°C liegt (24-26°C: warm, 27 bis 29°C: sehr warm, ab 30°C: heiß). Im Mai und September wird von mäßig warm schon bei 18 bis 22°C gesprochen (23-25°C: warm, 26 bis 29°C: sehr warm, ab 30°C: heiß). Kühl ist es im Sommer dagegen bei 17 bis 20°C, sehr kühl bei unter 17°C. Im April hingegen ist es erst bei 6 bis 9°C sehr kühl und bei 10 bis 12°C kühl, während man bei 18 bis 22°C von sehr milder Luft spricht. In den Wintermonaten sollte das Wort kühl überhaupt nicht auftreten, denn im Winter ist kühl der Normalfall. Fällt die Temperatur darunter spricht man von mäßig kalt bis sehr kalt. Liegt die Temperatur dagegen deutlich höher ist es mild oder sogar ungewöhnlich mild.

Zu den unscharfen Adjektiven in den Wetterberichten zählt auch die Kaskade vereinzelt – gebietsweise - verbreitet. Sie beschreiben die räumliche Ausdehnung, mit der ein Wetterphänomen (Regen, Gewitter, Frost) auftritt, ohne die geographische Lage genau zu bestimmen. Vereinzelt Regen meint, dass der Regen punktuell auftritt, während gebietsweise etwa eine Region wie das Emsland oder Ostfriesland beschreibt. Verbreitet Regen bedeutet, dass 80 bis 90% der Landesfläche betroffen sind.

Aber auch Begriffe, die auf den ersten Blick klar definiert erscheinen, entbehren einer eindeutigen Abgrenzung. So werden im Wetterbericht oft geografische Himmelsrichtungen als Ortsbezeichnungen eingesetzt: "Im Westen regnerisch, im Süden heiter". Doch wo endet der Westen, wo beginnt der Süden? In Österreich liegt der Süden jenseits des Alpenhauptkamms, in Deutschland existiert keine so markante Abgrenzungslinie. Wo der Westen endet und die Mitte beginnt, um auf der anderen Seite vom Osten abgelöst zu werden ist kann sich die Grenzziehung nicht eindeutig definiert. So rechnen sich auch aus psychologischen Gründen viele Menschen zum zumeist sonnigen Südwesten Deutschlands. Meteorologen machen sich diese Ungenauigkeit zunutze, um so elegant ihre Vorhersageunsicherheit zu kaschieren. Notwendig ist das zumeist nur bei mittelfristigen Prognosen über mehrere Tage. Hier ist ein präzise geographische Eingrenzung der Wetterphänomene kaum möglich. Für die kurzfristigen 3-Tage-Vorhersagen wird dagegen zumeist auf detaillierten geografischen Begriffe zurückgegriffen: "zwischen Ostsee und Erzgebirge" anstelle von "Osten".

Oft wird der Wetterbericht mit Interpretationen garniert. Man liest und hört davon, dass sich das Wetter freundlich oder zunehmend freundlicher entwickle ...bei angenehmen 20 bis 25 Grad. Unter journalistischen Gesichtspunkten ist das sicherlich vertretbar, schließlich soll die Leserschaft ja nicht nur informiert sondern auch unterhalten werden. Für Meteorologen sind solche semantischen Kniffe aber eine Gratwanderung. Ein Wetterbericht ist zuallererst einmal ein Bericht, also eine Übermittlung von Fakten. Auch Prognosen sind Fakten in diesem Sinne, denn sie beruhen auf Berechnungen – selbst wenn sie sich in der Rückschau als fehlerhaft herausstellen können. Doch es gibt naheliegende Bewertungen der Wetterentwicklung, die auch im Bericht eine journalistische Garnitur erlauben. Wenn beispielsweise nach tagelangem Dauerregen im Juli endlich mal wieder die Sonne zum Vorschein kommt, darf die Aussicht als freundlich bezeichnet werden.

Die Prognosen auf Menschenswetter sind dagegen nicht von einheitlicher Bedeutung. Eine ausgedehnte Wärmeperiode ist für Menschen, die unter Rheuma leiden, eine Wohltat. Für Menschen mit Atemwegserkrankungen oder Herz-Kreislauf-Problemen können Hitze und die damit verbundene geringe Konzentration von Sauerstoff pro m3 Atemluft dagegen ein ernstes Gesundheitsrisiko darstellen. Junge Menschen leiden oft unter einem sehr niedrigen Blutdruck (Hypotonie). Ein massiver Warmlufteinstrom, der allseits als Wetterbesserung gelobt wird, lässt ihren Kreislauf ins Bodenlose sinken und reduziert ihre körperliche und geistige Leistungsfähigkeit erheblich. Jede Wetterlage kann für die Gesundheit gutes Wetter sein und die Symptome einiger Erkrankungen lindern. Genau das selbe Wetter wird aber bei Menschen mit anderen Leiden die Beschwerden verstärken oder die Wahrscheinlichkeit für deren Auftreten erhöhen, ist also aus deren Perspektive eindeutig schlechtes Wetter. Menschenswetter warnt vor Gesundheitsbelastungen durch das Wetter und hilft, die aktuelle Wetterentwicklung in Hinblick auf die eigene Gesundheit zu interpretieren.


*Meteorologen rechnen stets in ganzen Kalendermonaten, so dass der meteorologische Sommer am 1. Juli beginnt und am 31. August endet. Der natürliche astronomische Sommerbeginn liegt dagegen am Tag der Sommersonnenwende (zumeist 21. Juli), das Sommerende (und Beginn des Herbstes) bestimmt die Tag-und-Nacht-Gleiche (zumeist 23. September).

Quellen:

Dipl.-Met. Jens Hoffmann: Im Westen freundlich, gebietsweise mäßig warm. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 28.08.2013

Erstellt am 31. August 2013
Zuletzt aktualisiert am 31. August 2013

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