Autoren leiden besonders oft unter psychischen Störungen

Genie schafft Wahnsinn

von Holger Westermann

Kreative Menschen haben eine verletzliche Seele, Buchhalter sind dagegen psychisch robust. Eine schwedische Langzeitstudie bestätigt dieses Klischee. Wissenschaftler und hauptberuflichen Künstler sowie deren Verwandte zeigten dabei ein höheres Risiko für Bipolare Störungen (manisch-depressive Erkrankung). Schriftsteller erkrankten auch häufiger an Schizophrenie und Depression.

Es bestehe jedoch kein genereller Zusammenhang zwischen Kreativität und sämtlichen Formen psychischer Störungen, beruhigen die Wissenschaftler um Prof. Dr. Paul Lichtenstein vom Karolinska Institut in Stockholm (Schweden). Mediziner und Psychologen neigen dazu zwischen gesund und krank zu unterscheiden. Alles Gesunde ist zu fördern, alles Kranke sollte beseitigt oder reduziert werden. Hier sieht der Doktorand und Erstautor der Studie Simon Kyaga ein grundlegendes Missverständnis, denn bestimmte Aspekte einer Krankheit könnten im Einzelfall durchaus auch vorteilhaft und wünschenswert sein. Arzt und Patient müssten sich in solchen Fällen darauf einigen, ob eine Therapie zu Lasten der Kreativität überhaupt wünschenswert sei.

Für die Studie wurden die Daten von fast 1,2 Millionen Menschen (n = 1.173.763) ausgewertet, die über einen Zeitraum von 40 Jahren erhoben wurden. Die Ergebnisse zeigten, dass Menschen in kreativen Berufen mit größerer Wahrscheinlichkeit an einer bipolaren Störung, einem Wechsel von depressiven und manischen (euphorischen) Zuständen, erkranken als Menschen mit anderen Berufen. Für andere Formen psychischer Erkrankung wie Autismus, Depression, Drogenabhängigkeit, Magersucht und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) konnte kein Zusammenhang festgestellt werden. Nur Schriftsteller und andere Autoren zeigten ein erhöhtes Risiko für Schizophrenie, Depressionen, Angststörungen und Drogenmissbrauch. So erstaunt es auch nicht, dass gerade diese Berufsgruppe ein um 50% größere Wahrscheinlichkeit aufweist, an Selbstmord zu sterben.

Inwiefern Pop-Musiker zu den Schriftstellern zu rechnen sind, geht aus der Veröffentlichung nicht hervor. Ähnlich wie bei den Frauen (sie konnten nicht gesondert als „weibliche Kreative“ ausgewertet werden) war hier die Stichprobengrösse trotz der 1,2 Millionen Datensätze zu gering. Fleißige Zeitungsleser vermuten aber, dass auch diese Berufsgruppe eine größere Affinität zu Depressionen und Drogenmissbrauch aufweist als der Bevölkerungsdurchschnitt. Oder ist es möglicherweise so, dass Menschen mit psychischen Problemen sich eher als „Schriftsteller“ bezeichnen, zumal diese Selbstdefinition nicht voraussetzt, dass jemals ein selbst geschriebenes Buch verlegt wurde. Dann müsste die Überschrift zu diesem Artikel lauten: Wahnsinn schafft (selbsternanntes) Genie.

Quellen:

Kyaga, S. et al. (2013): Mental illness, suicide and creativity: 40-Year prospective total population study. Journal of Psychiatric Research 47(1): 83-90

Erstellt am 15. Februar 2013
Zuletzt aktualisiert am 15. Februar 2013

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