Angst vor Reinfarkt provoziert Nocebo-Effekt
Herzinfarkt-Überlebende rutschen in Depression
Wer einen Herzinfarkt überlebt hat ist bei weitem noch nicht wieder gesund, weder körperlich noch seelisch. Für die körperliche Rekonvaleszens gibt es inzwischen eine Vielzahl von wohl etablierten und bewährten Rehabilitationsmaßnahmen. Doch mit der seelischen Belastung, insbesondere der individuell sehr unterschiedlich präsenten Angst vor einem erneuten Infarkt, müssen die Patienten oft allein zurecht kommen. Eine aktuelle Studie untersucht die langfristigen Folgen dieses medizinischen Versäumnisses, denn viele Patienten durchleiden eine ernsthafte Depression.
„Überlebende eines Herzinfarkts erkranken in den ersten sechs Monaten nach ihrem Herzinfarkt dreimal häufiger an Depressionen als Menschen ohne Herzerkrankung.“ erläutert Prof. Dr. Claus Vögele, Professor für Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie an der Universität Luxemburg das Problem, das sich zu einem Nocebo-Effekt verstärken kann: „Ohne Behandlung verschlechtert sich die Prognose und führt zum Beispiel zu weiteren kardialen Ereignissen und möglicherweise auch zum Tod.“ Ein Nocebo-Effekt (lateinisch nocere = schaden, nocebo = ich werde schaden) ist eine Art negativer Placebo-Effekt. Dadurch kann eine organische Erkrankung hervorgerufen oder verschlimmert werden, ohne dass eine organisch wirksame Erkrankungsursache vorliegt. Entscheidend ist die Erwartung des Patienten, wie sich die Erkrankung entwickeln wird.
Patienten, die unmittelbar nach ihrem Herzinfarkt dieses Erlebnis als starke Bedrohung empfinden, zeigen ein deutlich höheres Depressionsrisiko als Patienten ohne Angstgefühle. In einer kleinen wissenschaftlichen Studie befragte ein Forscherteam aus Luxemburg und Deutschland 36 Herzpatienten, die vor 5 bis 15 Tagen einen Infarkt erlitten hatten, zu ihren krankheitsspezifischen Symptomen sowie zu ihrer Müdigkeit, allgemeinen Gesundheit, Arbeit und Familie. Diese Befragung wurde sechs bis acht Wochen später und noch einmal sechs Monate später wiederholt.
Um die individuellen Strategien der Patienten für die Verarbeitung ihrer Infarkt-Erfahrungen zu untersuchen, interessierte die Forscher auch wie häufig und intensiv die Patienten über ihren Herzinfarkt nachgrübelten, ob sie die erfahrene Bedrohung kleinreden, ob sie versuchen sich Informationen zu beschaffen oder einen Sinn in der Religion suchen. Eine mögliche Depressivität wurde anhand eines strukturierten klinischen Interviews festgestellt.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Art und Weise der Bewältigung seelischer Konflikte durch Patienten nach einem Herzinfarkt sich unmittelbar auf die Wahrscheinlichkeit auswirken an einer Depression zu erkranken. Je eher sich die Patienten auf ein Netzwerk von Freunden und Verwandten stützen können und sich vorrangig auf ihre Genesung konzentrieren, um so geringer ist die Gefahr einer nachfolgenden Depression. Wer jedoch auch Wochen nach dem Infarkt Tag für Tag über seinen Gesundheitszustand grübelt, trägt ein großes Risiko an Depression zu erkranken.
Die Ergebnisse dieser Studie können entscheidend zu einer besseren Betreuung von Herzpatienten beitragen. „Psychologische Hilfe in der Zeit direkt nach dem Infarkt, zum Beispiel in den ersten beiden Wochen, kann Patienten vor einer Depression schützen und so zu einer erfolgreichen Genesung beitragen.“ so das Fazit des Studienleiters Prof. Vögele.
Quellen: Vögele, C. et al. (2012): Cardiac Threat Appraisal and Depression after First Myocardial Infarction. Frontiers in Psychology for Clinical Settings 3: 365ff, online veröffentlicht am 08.10.2012
Erstellt am 16. Januar 2013
Zuletzt aktualisiert am 16. Januar 2013

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