Medizin

Ausgeschlafen und trotzdem müde? Das ist eine Charakterfrage

von Holger Westermann

Introvertierte Menschen leiden bei Schlafmangel weniger unter Müdigkeit als extrovertierte.

In der analytischen Psychologie nach C.G. Jung (1875 – 1961) sind Introversion und Extroversion zwei entgegengesetzte Pole eines wesentlichen Faktors der Persönlichkeitstypologie. Der Introversion-Extroverion-Persönlichkeitsgradient beschreibt die Hinwendung der psychischen Energie nach innen beziehungsweise nach außen. In der Praxis beschreibt man einen extrovertierten Menschen als gesellig und auf den eigenen Status bedacht, manchmal auch angeberisch. Introvertierte Menschen gelten als grüblerisch und verschlossen ohne dabei zwingend kontaktscheu zu sein, sie suchen nur selbst selten Kontakt zu Mitmenschen.

Diese grundlegenden Charakterunterschiede beeinflussen offenbar auch die individuellen Reaktionen auf akuten Schlafmangel. Für ein Experiment unter der Leitung von Tracy Rupp am Walter Reed Army Institute in Silver Spring (Maryland, USA) wurden 48 Versuchsteilnehmer 36 Stunden wach gehalten (von 10:00 mogens bis 22:00 des darauffolgenden Tages). In den ersten zwölf Stunden konnten die Probanden wählen, ob sie allein bleiben oder mit anderen als Gruppe zusammen bleiben wollten. Wer das Alleinsein bevorzugte wurde als introvertiert eingestuft, die geselligen Versuchsteilnehmer wurden als extrovertiert klassifiziert.

Am Tag nach dem Experiment, insbesondere in den frühen Morgenstunden, schnitten die Extrovertierten bei Reaktionstests deutlich schlechter ab als die Introvertierten. Offensichtlich ist der kommunikative und soziale Kontakt zu Mitmenschen, den Extrovertierte intensiver pflegen als Introvertierte, eine geistig-seelische Belastung. Unter Schlafentzug reicht die Erholung nicht aus und sich vollständig zu regenerieren. Bei Extrovertierten ist die dadurch entstehende Lücke in der Leistungsfähigkeit größer als bei Introvertierten. Sie sind am nächsten Tag weniger konzentrationsfähig, machen mehr Fehler  und leiden stärker unter Müdigkeit.

Quellen:

Rupp, T. et al. 2010: „Socializing by day may affect performance by night: vulnerability to sleep deprivation is differentially mediated by social exposure in extraverts vs introverts.“ Sleep 33(11), 1475–1485

Erstellt am 4. November 2010
Zuletzt aktualisiert am 10. Februar 2016

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