Eine seit Jahrtausenden bewährte Partnerschaft

Hunde senken Stress, denn sie mögen Menschen

von Holger Westermann

Dem possierlichen Charme eines jungen Hundes kann sich kaum ein Mensch entziehen. Dem spontanen Impuls zu Knuddeln oder zumindest zu Streicheln mag man nicht widerstehen. Und die Mehrzahl der Hunde scheint diese Zuwendung zu genießen. Bei älteren Tieren ist dann eher die Rasse und deren Charakter relevant, ob man Körperkontakt anstrebt oder lieber auf Distanz achtet.

Seit 20.000 bis 40.000 Jahren teilen Mensch und Hund eine gemeinsame Geschichte. Damals wurde irgendwo in Eurasien ein Wolf domestiziert, wurde vom Wildtier zum Haustier. Sowohl die Analyse der DNA aus Mitochondrien heute lebender Hund als auch die Genomanalyse mehrerer sehr alter Hundekadaver (zwischen 7.000 Jahre aus Herxheim in Baden-Württemberg und 4.700 Jahren aus der Kirschbaumhöhle in Oberfranken, aber auch beispielsweise 5.000 Jahre aus Irland) deutet auf ein einmaliges oder in sehr enger Zeitstellung auch mehrfach mögliches Ereignis hin. Als sicher kann gelten, dass alle heute lebenden Hunde auf einem sehr diskreten Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte zurückgehen. Wahrscheinlich repräsentieren die Hunderassen in ihrer Vielzahl und Vielfalt eine gemeinsame Hundepopulation, die ihren Ursprung in der Jungsteinzeit hat (1).

Seither hat sich ein Teil der Menschheit seinen „besten Freund“ herangezüchtet, ihn gezähmt und zum Haustier gemacht. Im Verlauf dieser Domestikation (Haustierwerdung) veränderte sich nicht nur die Gestalt der Tiere, sondern auch ihr Sozialverhalten. Im Gegensatz zu Wölfen werden von Hunden auch Menschen als sozial relevante Partner angesehen. Hunde registrieren und berücksichtigen, was ein Mensch aufgrund der beobachteten Informationsgewinnung (Blickrichtung) wissen kann (beispielsweise Futtervorrat kennen) und was er beabsichtigt (vom Futtervorrat etwas abgeben oder nicht) (2). Will man bei Wölfen Vergleichbares erreichen, muss man sich wie ein Wolf gebärden, beim Hund darf man Mensch bleiben und wird trotzdem verstanden. Dabei sind Hunde nicht sozialer als Wölfe und auch nicht weniger aggressiv, aber sie wurden im Verlauf der Züchtung an das Leben mit den Menschen angepasst, indem sie Konflikten eher ausweichen und Regeln bereitwilliger befolgen als ihre wilden Vorfahren (3).

Das ist keine besondere Intelligenzleistung des Hundes, sondern ein Zuchterfolg der Menschen. Man hat in den zurückliegenden Jahrtausenden bevorzugt solche Tiere weiter gezüchtet, die sich gegenüber dem Halter oder zu allen Menschen besonders friedfertig und angenehm verhalten haben, deren Verhalten den Erwartungen der Menschen entsprach. Dazu zählt auch, dass Hunde sehr aufmerksam den Gemütszustand ihrer Halter registrieren. Letztendlich bestimmt die Persönlichkeit der Menschen, insbesondere ihr Stil Sozialbeziehungen zu leben, auch deren Verhalten dem Tier gegenüber - und das spiegelt sich dann im Verhalten der Hunde. Forscher der Universität Wien haben diesen Effekt in einem Experiment mit 132 Hundehaltern und deren Haustieren untersucht. Zuerst klassifizierten sie mit einer standardisierten Befragung die Persönlichkeit der Halter nach den fünf klassischen Kategorien: Offenheit für Erfahrungen (Neugier, Exploration), Gewissenhaftigkeit, Soziale Verträglichkeit, Neigung zur Selbstdarstellung (Extraversion) sowie Neigung zum Pessimismus (Neurotizismus). Danach wurden die Halter und ihre Hunde gemeinsam mehreren Situationen ausgesetzt wie Spiel, Leistungstest oder eine (gespielte) Bedrohung. Vor und nach diesen Testsituationen wurde bei Mensch und Tier Speichelproben genommen, um über das Hormon Kortisol das Stressniveau festzustellen. Es zeigte sich, dass Halter und Hund fast im Gleichschritt Stresshormone ausschütteten - also im selben Maß durch die jeweilige Situation gestresst wurden. Optimistische Menschen hatten weniger gestresste Hunde; ängstliche Menschen dagegen auffallend nervöse (4).

Durch diese Wechselwirkung kann ein Hund auch Stress verstärken. Wer selbst oft gereizt und nervös ist, oft ängstlich agiert oder soziale Unsicherheit zeigt, wird diese Gemütslage auf seinen Hund übertragen. Das Verhalten des Tieres kann dann als zusätzlicher Stressfaktor wirken. Gemeinhin wirkt es jedoch entspannend, wenn man sich mit dem Sozialpartner Haushund beschäftigt. Die zumeist positive Reaktion des Tieres auf den Halter hebt den Hormonspiegel für Oxytocin und senkt das Kortisol-Level. Oxytocin wird auch als „Kuschelhormon“ bezeichnet, denn es wird beim Stillen und bei Mutter-Kind-Interaktionen ausgeschüttet, bei zärtlichen Begegnungen von Liebespaaren sowie bei anderen soziopositiven Gelegenheiten (5).

Offensichtlich ist für ein emotional harmonisches Zusammenleben zwischen Hund und Halter auch das Geschlecht relevant - und zwar das Geschlecht des Menschen. Wer wenig Stress haben will, wähle bei Hunden das eigene Geschlecht. Frauen haben mit Rüden ein schlechteres Stressmanagement als mit Hündinnen; bei Männer funktioniert die empathische Nähe zu Rüden besser (4).

 

Nachtrag:

Um Stress und Schmerzempfinden zu lindern müssen sich Hund und Mensch noch nicht einmal gut kennen. In einer kanadischen Studie mit Therapiehunden in der Notaufnahme von Krankenhäusern berichteten 43% der wartenden Patienten, dass schon 10 Minuten Interaktion mit einem der Hunde ausreichten, um das Schmerzempfinden zumindest zu halbieren; Angstzustände schwanden bei 48% und Depressivität bei 46%. Auf physiologischen Stressreaktionen wie Blutdruck oder Herzfrequenz hatten die Hunde jedoch keinen Einfluss. (6).

Quellen:

(1) Botigué, L.R. et al. (2017): Ancient European dog genomes reveal continuity since the Early Neolithic. Nature Communications 8: 16082, online veröffentlicht 18.7.2017. DOI: 10.1038/ncomms16082.

(2) Catala, A. et al. (2017): Dogs demonstrate perspective taking based on geometrical gaze following in a Guesser–Knower task. Animal Cognition 20: 581 - 589, online veröffentlicht 24.3. 2017. DOI: 10.1007/s10071-017-1082-x.

(3) Range, F.; Marshall-Pescini, S. (2022): Comparing wolves and dogs: current status and implications for human ‚self-domestication’. Trends in Cognitive Science 26 (4): 337-349. DOI: 10.1016/j.tics.2022.01.003.

(4) Schöberl, I. et. al. (2017): Psychobiological Factors Affecting Cortisol Variability in Human-Dog Dyads. , PLOS ONE, online veröffentlicht 8.2.2017. DOI: 10.1371/journal.pone.0170707.

(5) Kramer, C.K. et al. (2019): Dog Ownership and Survival - A Systematic Review and Meta-Analysis. Cardiovascular Quality and Outcomes 12 (10):e005554, online veröffentlicht 8.10. 2019. DOI: 10.1161/CIRCOUTCOMES.119.005554.

(6) Carey, B. et al. (2022): Outcomes of a controlled trial with visiting therapy dog teams on pain in adults in an emergency department. PLOS ONE, online veröffentlicht 9.3. 2022. DOI: 10.1371/journal.pone.0262599

 

Erstellt am 11. April 2022
Zuletzt aktualisiert am 14. April 2022

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