Standardtherapie gefährdet hochbetagte Infarktpatienten und Hypertoniker

Riskante Blutdrucksenkung

von Holger Westermann

Für Menschen mit mehr als 80 Jahren Lebenserfahrung und einer moderaten Hypertonie steigt die Sterbewahrscheinlichkeit durch eine vorsorgliche Blutdrucknormalisierung. Das selbe gilt auch für deutlich jüngere Herz-Kreislauf-Patienten, für 70-jährige mit bereits bekannter kardiovaskulären Vorerkrankungen.

Die aktuellen medizinischen Leitlinien empfehlen für über-65-jährige Senioren den derzeit europaweit akzeptierten Zielwert 40/90 mmHg; in den USA werden sogar 130/80 mmHg genannt. Diese Grenzwerte gelten auch für hochbetagte Menschen, denn bislang ging man aufgrund von Daten umfangreicher Studien davon aus, dass hochbetagte Hypertonie-Patienten (über 75 Jahre) von einer Blutdrucksenkung unter 130 mmHg profitieren (Reduktion des Sterberisikos zwischen 25 und 33%).

Eine genaue Betrachtung der oft zitierten Studien ergab jedoch ein methodisches Defizit: Die Nachbeobachtungszeit war bei Senioren stets sehr kurz, lediglich 1,5 bis 3 Jahre; zudem waren Patienten mit Vorerkrankungen von den Studien ausgeschlossen - und damit auch ein Gutteil der hochbetagten und zumeist multimorbiden Patienten. Gerade ältere Menschen leiden oftmals unter einer Vielzahl degenerativer Beschwerden, darunter auch einer alterstypischen Veränderungen der Blutgefäße.

Ein anderes Bild ergab sich nun in der „Berliner Initiative Studie“ (BIS), die seit 2009 eine Gruppe von 1.628 über 70-jähriger GKV-versicherter Patienten beobachtet. In dieser Studie waren auch Menschen eingeschlossen, die bereits einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erlitten hatten. Die Nachbeobachtungszeit bis zur Datenauswertung betrug 6 Jahre. Klinisch relevante Einflussfaktoren wie Geschlecht, Body-Mass-Index, Raucherstatus, Alkoholkonsum, Diabetes und die Anzahl der blutdrucksenkenden Mittel wurden bei der Auswertung berücksichtigen. Unbeachtet blieb dagegen der Arteriosklerose-Befund.

Dabei zeigten die mit Herzinfarkt oder Schlaganfall vorbelasteten Patienten ein um 61% höheres Sterberisiko (ein zusätzlicher Sterbefall auf 24 Todesfälle in der Gruppe), wenn der Blutdruck unter 140/90 mmHg gesenkt worden war. Unter den hochbetagten Hypertonikern über 80 Jahre stieg das Sterberisiko gegenüber der Vergleichsgruppe um 40% (mit ohnehin hoher Sterbewahrscheinlichkeit; ein zusätzlicher auf 17).

Die Forscher empfehlen für die Hypertonietherapie hochbetagter Patienten eine individuelle Anpassung. Die allgemeinen Standardzielwerts aus der Leitlinie sollten bei dieser speziellen Patientengruppe nicht zwingend übernommen werden. Nicht diskutiert wurde der besondere Effekt von Blutdrucksenkern auf die Wahrscheinlichkeit von Schwindel und schwachen Muskeltonus sowie Konzentrationsprobleme. Gerade bei Wetterwechsel mit raschem Temperaturanstieg machen sich diese Beschwerden bemerkbar und provozieren das Risiko für Unfälle und Stürze, die gerade bei hochbetagten Patienten oft fatale Folgen haben. Betroffene sollten die neuen Erkenntnisse mit ihrem Hausarzt besprechen.

Quellen:

Douros, A. et al. (2019): Control of blood pressure and risk of mortality in a cohort of older adults: the Berlin Initiative Study. European Heart Journal: ehz071, onloine veröffentlicht 25.02. 2019. DOI: 10.1093/eurheartj/ehz071

Erstellt am 19. März 2019
Zuletzt aktualisiert am 19. März 2019

Unterstützen Sie Menschenswetter!

Die Höhe des Beitrags liegt in Ihrem Ermessen.

Weitere Informationen...

 3 Euro    5 Euro    12 Euro  
 Betrag selbst festlegen  

Ab jetzt Winterwetter

Es ist nicht nur ein kurzzeitiger Kaltluftvorstoß, sondern der drastische Wechsel vom nasskalten Herbst zu frostigem Winterwetter. Die Großwetterlage stellt sich nachhaltig um. Das ist hierzulande Ende November eigentlich „normal“, nur in den letzten Jahren blieb der Übergang vom Spätherbst zum Frühwinter zumeist mild; Schnee schmolz rasch wieder dahin. Diesmal ist das anders - es wird nachhaltig winterlich. weiterlesen...


Admarker

Der digital Asthma-Helfer für die Tasche

Breazy Health


Schon wenig Rotwein kann massive Kopfschmerzen auslösen

Reichlich Rotwein am Abend kann morgens Kopfschmerz provozieren. Manchen Menschen leiden jedoch schon nach einem kleinen Glas oder gar einem Probierschluck Rotwein und rasch anflutenden Kopfschmerzen - nicht erst nach Stunden im alkoholvertieftem Komaschlaf, sondern unmittelbar anschließend bei hellwachem Bewusstsein. weiterlesen...


Impfsaison 2023/2024 für Menschen mit Atemwegserkrankungen

Robert-Koch-Institut (RKI) und Ständige Impfkommission (STIKO) empfehlen Menschen mit Asthma und COPD frühzeitige Impfung gegen Grippe (Influenza) und neue Corona-Varianten sowie eine Überprüfung des Pneumokokken-Schutzes zur Vorbeugung einer Lungenentzündung. Gerade in der jetzt beginnenden kalten Jahreszeit steigt neben Infektionen der oberen und unteren Atemwege auch das Risiko für spürbare Verschlechterung der Symptomatik von vorbestehenden Lungenerkrankungen. weiterlesen...


Künstliche Intelligenz (KI) unterstützt Ärzte bei der Diagnose

Das Konzept der KI (im Englischen treffender als Artificial Intelligence bezeichnet) ist in der aktuell populären Version auf die Komposition von Texten optimiert. In der medizinische Diagnostik werden andere Qualitäten gefordert. Doch schon heute liefern solche Anwendungen erstaunlich kompetente Unterstützung. weiterlesen...


Wetterwechsel provoziert Migräneattacken

Befragt man Menschen, die unter Migräne leiden, werden zuverlässig bestimmte Wetterlagen oder  eine besonders dynamische Veränderung des Wetters als Auslöser von Schmerzattacken genannt. Deshalb wurde dieser besondere Umwelt-Trigger schon vielfach untersucht. Neue Studien zeigen, dass es nicht die Wetterlage ist, die Schmerzattacken auslöst. weiterlesen...