Wetter

Drei Effekte verstärken die Relevanz der Wetterempfindlichkeit

von Holger Westermann

Wetter beeinträchtigt das Wohlbefinden und die Gesundheit durch rasche Wechsel, extreme Werte oder lang anhaltende Belastung. Besonders betroffen sind Menschen mit akut angegriffener Gesundheit, chronisch Kranke und biographisch Fortgeschrittene. Deren Wetterempfindlichkeit geht spürbar über normale Wetterfühligkeit hinaus. Drei Effekte werden zukünftig die Häufigkeit und Intensität verstärken: Klimaveränderung, demographischer Wandel, wohnen in der Stadt.

Wetterwechsel mit rasanter Veränderung der gefühlten Temperatur provozieren hierzulande vom Atlantik heranziehende Tiefdruckgebiete. Aktuelle Forschungsergebnisse über die Auswirkungen der Klimaveränderung prognostizieren für Mitteleuropa bereits in den kommenden Jahrzehnten zunehmende Heftigkeit und Häufigkeit. Je wärmer das Aufzugsgebiet der Tiefs im Nordatlantik wird, um so mehr Feuchtigkeit und Energie können die Druckgebilde ansammeln, die sie als Regen, Hagel und Sturm wieder freisetzen. Hinzu kommen die nordwärts abgelenkten Hurrikans. Sie ziehen äquatornah westwärts in Richtung Karibik, können aber auch die Küste der USA in Florida oder am Golf von Mexiko treffen. Derzeit noch selten ist eine Zugrichtung nordwärts entlang der amerikanischen Ostküste und zurück auf den Atlantik in Richtung Azoren. Auf diesem Weg wird so ein ehemaliger Hurrikane - inzwischen gealtert zum mächtigen Orkantief - vom nördlichen Subtropenjetstream (ca 30° N) eingefangen und mit seinen enormen Regenmengen nach Europa gelenkt. So waren die Überschwemmungen Mitte Oktober 2018 in Portugal, Spanien und auf Mallorca Folge des ehemaligen Hurricanes Leslie und nahezu zeitgleich in Irland und Großbritannien durch den Ex-Hurricane Michael. Solche Ereignisse sind zukünftig häufiger zu erwarten, wenn die Wassertemperatur im Nordatlantik ansteigt.

Sturm und Regen sind in solchen Extremen verheerend für den betroffenen Landstrich. Für wetterempfindliche Menschen bewirkt jedoch bereits eine moderate Zunahme von Wind und Niesel einen deutlichen Rückgang der gefühlten Temperatur. Die Zahl der nasskalten Tage steigt sehr viel stärker an als es die spektakulären „Einzelereignisse mit Nachrichtenwert“ vermuten lassen. Andererseits prognostiziert das wissenschaftliche Projekt „The Lancet Countdown: Tracking Progress on Health and Climate Change“ zu dem sich die Vereinten Nationen und 27 führende Forschungseinrichtungen zusammengetan haben, dass parallel dazu auch die Hitzeperioden länger und heißer werden. Der Unterschied zwischen nasskalten Tagen und Hitzewellen wird drastischer und die Belastung für die Gesundheit größer.

Forciert wird der Effekt durch das Wachstum der Städte. Kompakt bebaute Siedlungen heizen stärker auf als von Grünflächen durchzogene oder von Wald und Landwirtschaft umgebene Einzelbebauung. Der aktuelle Trend zur Nachverdichtung durch „Lückenschluß“ und Bebauung von Freiflächen in Städten verschärft das Problem. Ein Austausch aufgeheizter, feuchter und mit Schadstoffen angereicherter Luftmassen wird dadurch immer schwieriger. Auch ein Aufstocken der Häuser bewirkt keine Entlastung, denn zwischen den hohen Wohnwänden wird die Wärmestrahlung vielfach reflektiert und bleibt so effizient gefangen. Die Atemluft bleibt schwül, stickig und schadstoffbelastet. Je mehr Menschen in den großen Städten Arbeit und Unterkunft finden, um so mehr eskaliert der Effekt.

In „jungen“ Städten fällt das zunächst nicht auf. Die Zuwanderung von Berufsanfängern und Familien mit schulpflichtigen Kindern bewirkt sogar einen unterdurchschnittlichen Krankenstand. Die Bildzeitung vermeldete am 6.12. 2018 „Mia san gsund! München hat den zweitniedrigsten Krankenstand“ (unter Arbeitnehmern). Dabei ist die Stadt München mit 2,9% sogar noch etwas schlechter gestellt als der umgebende Landkreis München mit 2,6% - dorthin zieht es auch die meisten Neumünchner, insbesondere junge Familien. In Regionen mit geringerer Sogwirkung und älterer Arbeitnehmerschaft ist der Krankenstand erheblich höher, beispielsweise Bad Kissingen mit 4,7%. Die Gesundheit von lebenserfahrenen Menschen ist häufiger und stärker belastet - und deren Anteil in unsere Gesellschaft steigt. Wer zudem unter chronischen Erkrankungen leidet, wenn Herz, Kreislauf, Atmung und Bewegungsapparat nicht mehr wie in jungen Jahren belastbar sind oder Schmerzbelastung, Schlafstörungen und Konzentrationsprobleme quälen, kann sich nicht durch Sport und Frischluftaktivitäten „abhärten“.

So gewinnt die Wetterempfindlichkeit schon in naher Zukunft an Bedeutung: Globale Klimaveränderung verstärkt in Mitteleuropa die kurzfristig wirksamen Temperaturgegensätze, das Stadtklima verschärft den Effekt und der Durchschnittsbürger (österreichischer Seppl und deutscher Michel) altert und beklagt seine schwindende, dabei aber zunehmend sensible Gesundheit.

Quellen:

Hawcroft, M. et al. (2018): Significantly increased extreme precipitation expected in Europe and North America from extratropical cyclones. Environmental Research Letters 13 (12), online veröffentlicht 27.11.2018. DOI: 10.1088/1748-9326/aaed59.

Humanising health and climate change. Editorial in Lancet 392 (10162): P2326, online veröffentlicht 1.12.2018. DOI: 10.1016/S0140-6736(18)33016-2

Watts, N. et al. (2018): The 2018 report of the Lancet Countdown on health and climate change: shaping the health of nations for centuries to come. Lancet 391: 581 - 630. DOI: 10.1016/S0140-6736(18)32594-7

Bildzeitung (2018): Mia san gsund! online veröffentlicht am 6.12.2018.

Erstellt am 6. Dezember 2018
Zuletzt aktualisiert am 6. Dezember 2018

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