Drei Metastudien prüfen Sport, Ernährung und Arznei

Keine wirksame Therapie gegen Demenz

von Holger Westermann

In einem gemeinschaftlichen Projekt wurden wissenschaftlichen Studien zur Vorbeugung von altersbedingter leichter kognitiver Beeinträchtigung (Mild Cognitive Impairment, MCI) oder einer Alzheimer-Demenz untersucht: Alle Maßnahmen erwiesen sich als wirkungslos. Nachlassende geistige Leistungsfähigkeit und schwindendes Konzentrationsvermögen lassen sich nicht verzögern oder gar verhindern.

Im Fokus der Forscher standen die vielfach und mit unterschiedlicher Motivation (Ansporn und Geld verdienen) als Prävention empfohlenen Maßnahmen:

  • Sportliche Aktivität, insbesondere Ausdauersport zur Verbesserung der allgemeinen Fitness
  • Nahrungsergänzungsmittel langfristig verwenden, um altersbedingte Versorgungsdefizite zu kompensieren
  • Medikamente zur Linderung der MCI

Die Forscher konzentrierten sich dabei auf Studien, die den medizinisch-wissenschaftlichen Standards genügten und eine hinreichend lange Zeit zur Nachbeobachtung einschlossen, um die Wirkung zu bewerten. So blieben für den Veröffentlichungszeitraum zwischen 2009 und 2017 lediglich 16 Studien, die mit einer Beobachtungszeit zwischen 6 Monaten und 2 Jahren und einer hinreichenden Datenqualität über den Effekt sportlicher Aktivität Auskunft geben konnten. Die Probanden waren 60 bis 80 Jahre alt und zeigten in den prospektiven Vergleichsstudien zu Beginn der Untersuchung noch keine geistigen Beeinträchtigung. Weder Ausdauer- noch Krafttraining privilegierten die regelmäßig Sporttreibenden gegenüber den Unsportlichen auch in der geistigen Fitness. Auch die meditativen Bewegungsübungen wie sie im Tai Chi (Schattenboxen) üblich sind, haben keinen positiven Effekt.

Vergleichbar entmutigend fällt die Beurteilung frei verkäuflicher (ohne Rezept erhältlicher) Nahrungsergänzungsmittel aus. Dazu wurden 38 Studien ausgewertet, die zwischen 2009 und 2017 veröffentlicht worden waren und sich auf eine zumindest halbjährliche Beobachtungszeit sowie eine akzeptable Datenqualität stützten. Die Studien testeten den Effekt von Omega-3-Fettsäuren, Soja, Ginkgo biloba, B-Vitaminen, Vitamin D plus Kalzium, Vitamin C, Beta-Carotin und Kombinationspräparaten daraus. In ihrem Fazit der Gesamtschau erkennen die Forscher keinen Hinweis auf eine relevante Wirksamkeit der Präparate. Zwar können für einzelne (Folsäure und Vitamin B12) ein statistisch signifikanter Effekt nachgewiesen werden, doch die Forscher zweifeln an der klinischen Relevanz: Ob die betroffenen Menschen spürbar davon profitieren.

Von einigen rezeptpflichtigen Medikamenten, insbesondere von Hormontherapien, versprechen sich Ärzte und Patienten eine Verzögerung der MCI und altersbedingter Demenz. Die Studienlage im geprüften Zeitraum zwischen 2009 und 2017 ist erheblich dichter und qualitativ besser als in den beiden bislang untersuchten Präventionsmaßnahmen. Untersucht wurden Studien zu 3 Demenzmedikamenten, 16 Blutdrucksenker, 4 Antidiabetika, 2 nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), 17 Hormonpräparate und 7 Cholesterinsenker.

Während sich die meisten Medikamente mit Blick auf die Entwicklung der geistigen Leistungsfähigkeit als weitgehend wirkungslos erwiesen, scheint sich unter den Hormontherapien der geistige Abbau sogar zu beschleunigen. Durch die Einnahme von Östrogenen oder Östrogen-Gestagen-Präparaten stieg bei geistig gesunden Probanden das Risiko eine MCI oder eine Demenz zu entwickeln.

Andere Hormontherapien setzen eine präzise Differenzialdiagnose vorraus. So können hohe Dosen des Selektiven Estrogen-Rezeptor-Modulators (SERM) Raloxifen das Risiko einer MCI senken, nicht aber das einer Demenz. Die erheblichen Nebenwirkungen solcher Hormontherapien sind jedoch garantiert: Das Risiko für koronare Herzerkrankung, Thrombosen, Schlaganfälle, Lungenembolien und Brustkrebs steigt.

Die Forscher kritisieren in ihrem Fazit zu den drei Studien die Gewissheit, mit der solche Maßnahmen gegen den altersbedingten Abbau der geistigen Kräfte propagiert und den Menschen empfohlen werden. Dafür mangele es schlicht an Evidenz.

Quellen:

Brasure, M. et al. (2018): Physical Activity Interventions in Preventing Cognitive Decline and Alzheimer-Type Dementia: A Systematic Review. Annals of Internal Medicine 168 (1): 30 - 38. DOI: 10.7326/M17-1528

Fink, H. et al. (2018)
: Pharmacologic Interventions to Prevent Cognitive Decline, Mild Cognitive Impairment, and Clinical Alzheimer-Type Dementia: A Systematic Review. Annals of Internal Medicine 168 (1): 39 - 51. DOI: 10.7326/M17-1529

Butler, M. et al. (2018)
: Over-the-Counter Supplement Interventions to Prevent Cognitive Decline, Mild Cognitive Impairment, and Clinical Alzheimer-Type Dementia: A Systematic Review. Annals of Internal Medicine 168 (1): 52 - 62. DOI: 10.7326/M17-1530

Erstellt am 20. Februar 2018
Zuletzt aktualisiert am 20. Februar 2018

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