Unterstützende Therapie zur Regulation der Magensäure

Infarkterfahrene Senioren im Risikokonflikt

von Holger Westermann

Es ist die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub, zwischen einem erneuten Blutstau mit Verschluss (Reinfarkt) und einer ebenso fatalen inneren Blutung. Viele vorbelastete Patienten erhalten als Dauertherapie Acetylsalicylsäure (ASS), damit zukünftig gefährliche Thrombosen verhindert werden. Doch für ältere Menschen über 75 ist der Nutzen inzwischen umstritten.

Wer einen Infarkt überlebt hat, bekommt zumeist ASS verschrieben. Diese preiswerte Variante der Thrombose-Prophylaxe verbessert den Blutfluss und hilft, weitere Verschlüsse der Adern zu verhindern. Probleme treten vor allem bei äusseren Verletzungen auf, wenn die Blutung nur zögerlich versiegt. Aus diesem Grund wird ASS vor Operationen (geplante Verletzungen) abgesetzt. Ein besonderes hohes Risiko bedeuten jedoch innere Blutungen wie Schlaganfall oder Herzinfarkt, Magen-Darmblutung und andere Organverletzungen, die einer raschen Intervention nicht zugänglich sind.

Wie groß dieses Risiko gerade für ältere Menschen ist, untersucht die Oxford Vascular Study an 3.166 Infarkt-Patienten (Schlaganfall und Herzinfarkt), die mit Medikamenten zur Blutfuss-Verbesserung behandelt wurden (97% mit ASS). Gut die Hälfte der Patienten war bereits 75 Jahre alt oder älter (1.582). In dieser prospektiven Beobachtungsstudie wurden die Gesundheit der Probanden 10 Jahre protokolliert (13.509 Patientenjahre); registriert wurden insgesamt 405 Blutungen, davon 218 Magen-Darmblutungen und 45 im Gehirn.

Das Risiko für leichte, letztendlich unbedenkliche Blutungen erwies sich als altersunabhängig. Ganz anders dagegen bei schweren Blutungen, die einen Krankenhausaufenthalt erforderten (insgesamt 314). Für alle untersuchten Patienten ermittelten die Forscher eine durchschnittliche Risiko-Quote von 1,5 je 100 Patienten im Jahr. Eine Analyse nach Altersklassen ergab eine deutliche Risikosteigerung mit zunehmender Seniorität. In der Altersgruppe der 75 bis 84-Jährigen stieg die Quote auf 3,5% und in der Gruppe hochbetagter Patienten über 85 Jahre auf 5%. Auch das Risiko tödlicher Blutungen stieg mit dem Lebensalter stark an, von 0,5% bei den Unter-75-Jährigen, über 1,5% bei 75 bis 85 Jahre alten Patienten auf 2,5% bei Hochbetagten.

Den größten Alters-Effekt erkannten die Forscher beim Sterberisiko durch eine Magen-Darmblutung (obere gastrointestinale Blutung). Sie empfehlen daher diesen Risikopatienten eine begleitende Therapie mit Medikamenten, die den Magensäureüberschuss reduzieren (Protonenpumpen-Inhibitoren, PPI).

Andererseits stehen die an sich gut verträglichen PPI im Verdacht ihrerseits das Risiko für Nieren­erkrankungen oder chronische Darminfektionen zu erhöhen. Eine aktuelle Studie beschreibt das individuelle Risiko infolge einer dauerhaften PPI-Therapie zu sterben als gering. Da die Einnahme der „Säureblocker“ zur Vorbeugung jedoch ähnlich verbreitet ist, wie die Dauertherapie mit ASS, summieren sich die Einzelfälle zu einer beachtlichen Zahl. In jedem Fall sollten ältere Infarktüberlebende die Feinabstimmung der Medikamenteneinnahme mit ihrem Arzt besprechen - oft wird bei jahrelang anhaltendem Therapieerfolg übersehen, dass mit fortschreitender Biographie grundlegende Veränderungen notwendig werden.

In einer deutschen Studie an 636 Herz-Kreislauf-Patienten unter ASS-Prophylaxe stoppten 298 (46,8%) vor einer geplanten Operation ihre Dauertherapie. Davon traf jedoch gut ein Drittel der Patienten (34%) diese Entscheidung eigenverantwortlich, ohne zuvor ihren Arzt um Rat zu fragen. Dabei zeigte sich, dass Patienten das Risiko einer Therapieunterbrechung deutlich niedriger bewerten als die behandelnden Ärzte. Die Forscher fordern daher für Herz-Kreislaufpatienten im Vorfeld einer geplanten Operation eine Risikoabwägung und Aufklärungsgespräche unter Einbindung von Fachärzten (Kardiologen und Anästhesiologen = Narkoseärzten, die an der geplanten Operation beteiligt sind).

Quellen:

Li, L. et al. (2017): Age-specific risks, severity, time course, and outcome of bleeding on long-term antiplatelet treatment after vascular events: a population-based cohort study. The Lancet, online veröffentlicht am 13.07. 2017. doi: 10.1016/ S0140-6736(17)30770-5.

Xie, Y. et al. (2017): Risk of death among users of Proton Pump Inhibitors: a longitudinal observational cohort study of United States veterans. British Medical Journal, BMJ Open 7:e015735. doi: 10.1136/bmjopen-2016-015735.

Plümer, L. et al. (2017): Acetylsalicylsäure vor elektiven Operationen: absetzen oder weiterführen? Eine monozentrische Querschnittstudie. Deutsches Ärzteblatt 114 (27-28): 473 - 480. DOI: 10.3238/arztebl.2017.0473

 

Erstellt am 6. Juli 2017
Zuletzt aktualisiert am 10. Juli 2017

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