Wetter

Schiefe Wetterteilung

von Holger Westermann

Im Südwesten weiterhin mildes Winterwetter, im Norden und Osten dagegen Schneefall, Glatteis und Dauerfrost. Die Wetterscheide teilt Mitteleuropa diagonal vom Emsland (Niedersachsen, Deutschland) bis nach Klagenfurt (Kärnten, Österreich) - doch auch am Schwarzen Meer fiel reichlich Schnee.

Wer im Westen und Südwesten Deutschlands oder in Vorarlberg (Österreich) lebt befürchtet, dass der Winter heuer (in diesem Jahr) ohne Schnee, Eis und Frost vorüber geht. Wintersportbegeisterte oder deren Dienstleister werden dagegen die Wetterentwicklung sorgenvoll verfolgen. Abgesehen von den Hochlagen des Schwarzwaldes und der Alpen schneit es nur bei Nacht, tagsüber ist es zu warm. Dass der Schnee länger liegen bleibt und dann auch noch hinreichend trocken ist, damit man Skifahren oder Rodeln kann, bleibt selten. Selbst Schneewanderungen begeistern wegen der schon nach wenigen Kilometern durchnässten Schuhen nur hartgesottene Enthusiasten.

Ganz anders erleben die Menschen im Nordosten Mitteleuropas das Winterwetter. Fernstraßen und Autobahnen werden wegen Glatteis gesperrt, Züge können wegen gefrorener Oberleitungen nicht mehr fahren, Schnee bedeckt weite Landschaften und mancherorts orchestrieren Wintergewitter die Szenerie.

Verantwortlich für diese schiefe Wetterteilung ist eine Luftmassengrenze die seit einigen Tagen Mitteleuropa diagonal in einen frostigen Nordwesten und milden Südosten teilt - und sich kaum bewegt. So etablierte sich auf meteorologisch engstem Raum (wenige hundert km Abstand) ein Temperaturunterschied von 10 bis 18°C. In den nächsten Tagen ist im Westen und Südwesten weiterhin kein Winterwetter zu erwarten. Die Luftmassengrenze weicht ganz gemächlich nordostwärts zurück, sodass Mitteleuropa zunächst wieder frostfrei werden wird. Im Westen und Südwesten können dann auch wieder mehr als 10°C erreicht werden.

Eine ganz andere Wetterentwicklung erleben derzeit die Menschen in der Nordtürkei. Dort wurde die Landschaft mit Schnee überhäuft. Die Ursache für diese großen Schneemengen ist ein meteorologisches Phänomen, das während des Winters die südlichen Anrainer großer Wasserflächen treffen kann: Der "Lake-Effect-Snow" (LES).

Frostigkalte Luft ist sehr trocken, sie enthält so gut wie keinen Wasserdampf. Weht nun eiskalte Nordwind über eine vergleichsweise warme Wasserfläche bildet sich eine labile Luftschichtung:

  • Direkt über dem Wasser liegt leichte feuchtwarme Luft, die von kalter trockener Luft dynamisch überschichtet wird.
  • Warme Luft ist leichter als kalte, deshalb steigen Warmluftblasen in der Kaltluftmasse auf.
  • In der kalten Umgebung kondensiert der Wasserdampf aus den Blasen feuchtwarmer Luft, es bilden sich Wolken aus denen es ergiebig schneit.
  • Gefriert die vom Nordwind überströmte Wasseroberfläche, stoppt der LES, da der Feuchtenachschub unterbrochen wird.

Grundsätzlich kann dieser Effekt weltweit an jeder Wasseroberfläche beobachtet werden, die eine entsprechende Größe aufweist und von einer kalten Luftmasse überstrichen wird. Beispielsweise tritt er regelmäßig an den großem Seen zwischen Kanada und den USA auf. Der LES führt zu "Niederschlagsbändern", die aus kräftigen Schneeschauern, teils auch Wintergewittern zusammengesetzt sind. Mal handelt es sich hierbei um ein einziges und kräftiges Niederschlagsband, mal um eine Vielzahl von schwächeren Bändern.

Derzeit lenken ein kräftiges Hochdruckgebiet mit Zentrum über dem Nordwesten Russlands (Luftströmung im Uhrzeigersinn um das Zentrum) und einem Tief über dem Nahen Osten (Luftströmung entgegen dem Uhrzeigersinn) sehr kalte Polarluft über das Schwarze Meer (Temperatur des Oberflächenwassers zwischen 5 und 11°C) in die östliche Mittelmeerregion. Der Weg der trockenen Polarluft über die warme Wasseroberfläche ist weit und so kann viel feuchtwarme Luft in der Kaltluft aufsteigen und Schneewolken bilden.

Unterstützt wird der Effekt durch die steil ansteigende Landschaft den Nordtürkei. Die über das Schwarze Meer heranstürmenden Luftmassen müssen aufsteigen (orographische Hebung), in den Staulangen der Berge schneit es dann besonders ausgiebig (wie hierzulande an den Mittelgebirgen oder den Alpen). Aber auch hier steigt die Lufttemperatur in den kommenden Tagen wieder, so dass der LES versiegt.

Der allgemeine Temperaturansteig wird dort wie hier auch die Gesundheit der Menschen entlasten. Die schiefe Wetterteilung Mitteleuropas wird wohl verschwinden. Damit nehmen auch die typischen Kältebeschwerden ab. Insbesondere durch Verkrampfungen (beispielsweise Asthma) und Bluthochdruck Geplagte werden eine Entlastung spüren. Dagegen werden Menschen, die unter Gelenkschmerzen leiden, den Wechsel zu feuchtkaltem Wetter möglicherweise als unangenehm empfingen. Insgesamt aber ist der bislang recht milde Winter für die Gesundheit weniger belastend als ein Jahresbeginn mit strengem Frost.

Quellen:

M.Sc.-Met. Andreas Würtz: Wintereinbruch in Südosteuropa - Die Nordtürkei versinkt im Schnee. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 04.01.2016

Dipl.-Met. Simon Trippler: Die Ungerechtigkeit des Wetters. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 05.01.2016

Erstellt am 7. Januar 2016
Zuletzt aktualisiert am 7. Januar 2016

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