Wetter
Piteraq
Auch wenn der Föhn, der hierzulande bekannteste Fallwind, Warmluft über das Voralpenland wehen lässt - zumeist stürzt Kaltluft mit hoher Dynamik die Berghänge hinab. Im Schwarzwald erfrischt der „Glottertäler“ nach heißen Sommertagen die Menschen im Wetter-Hotspot Freiburg, am Mittelmeer zwingen der französische Mistral oder die kroatische Bora sogar zum wärmenden Pullover. Die größte Fallwind-Vehemenz bietet jedoch Europas Wetterküche: den Piteraq auf Grönland.
Das Wort "piteraq" stammt aus dem Grönländischen (einer eskimo-aleutischen Sprache) und bedeutet "das, was einen überfällt". Tatsächlich trifft der Piteraqa die Menschen in Ostgrönland überfallartig als kalter, ablandiger (vom Land in Richtung Meer wehender) Fallwind; Meteorologen sprechen von einem katabatischen Wind.
Er tritt auf, wenn die Luft in kalten, wolkenfreien und windstillen Nächten über den ausgedehnten Eisflächen im Landesinneren Grönlands stark abgekühlt. Dadurch bildet sich eine dicke Schicht extrem kalter und trockener Luft, die von der darüber liegenden, wärmeren Luft entkoppelt ist. Ein vergleichbarer Effekt tritt hierzulande bei Inversionswetterlagen (winterliche Hochdruckwetterlagen) auf.
In kalter Luft bewegen sich die Moleküle sehr träge und liegen nah beieinander, Kaltluft hat deshalb eine höhere Dichte als Warmluft - sie ist pro m3 auch schwerer. In unebenem Gelände kann sehr kalte Luft wie ein Flüssigkeit talwärts fließen und sich in Senken sammeln. Hierzulande führt das in Landschaften mit welligem Bodenrelief zu den typischen Nebeltümpeln im Herbst, im Winter kann an den selben Stellen auch Bodenfrost mit Straßenglätte auftreten.
Das grönländische Inlandeis erreicht mit einer Gipfelhöhe von 3.216 m, durchaus Alpenniveau. Das Relief modulierten Schluchten und Spalten, die herabstürzende Kaltluftmassen lenken, verdichten und lokal beschleunigen. So kann der Piteraqa mancherorts mehr als doppelte Orkanstärke erreichen. Beispielsweise am 5. Februar 1970; damals provozierten zwei Tiefdruckgebiete (Luftströmung entgegen dem Uhrzeigersinn) einen ungewöhnlich kräftigen Kältevorstoß nach Westgrönland. Eines näherte sich von Westen und verlagerte sich von der kanadischen Labrador-Halbinsel zur Baffininsel (größte Insel des Kanadisch-Arktischen Archipels). Ein ein weiteres, wenn auch kleineres Tief, hatte sich nahe der Südspitze Grönlands (Kap Farvel) gebildet und zog unter Intensivierung in die Dänemarkstraße (Meerenge zwischen Island und Grönland) weiter und förderte die kalte Luft über das Inlandeis an die Ostküste.
Die Kaltluft erreichte die Ostküste Grönlands in der Nacht zum 6. Februar. Im Küstenort Tasiilaq (der zu jener Zeit noch Ammassalik hieß) wurden Rekordwindstärken gemessen:
- Mittelwind von 54 m/s (194 km/h)
- Böen von 70 m/s (252 km/h)
Im Nachhinein schätzte man die aufgetretenen Böen auf bis zu 90 m/s (324 km/h; zum Vergleich: Orkan ab 32,7 m/s entsp. 117.7 km/h). Der Ort wurde so stark verwüstet, dass man ernsthaft überlegte die Siedlung aufzugeben. Personen kamen damals glücklicherweise (oder weil die dort dauerhaft lebenden Menschen den Naturgewalten mit mehr Respekt als Neugier entgegen treten) nicht zu Schaden.
Vor gut drei Wochen hat sich diese Wetterkonstellation annähernd wiederholt. In der Nacht vom 22. auf den 23. November wurde Tasiilaq erneut von einem Piteraq überfallen. Am frühen Morgen (zwischen 7 und 8 Uhr, aber derzeit ist es dort den ganzen Tag über stockfinster) erreichte der Mittelwind 32 m/s (115 km/h) mit Böen bis zu 53 m/s (191 km/h). An einer privaten Wetterstation wurden 70 m/s (252 km/h) gemessen. Demgegenüber sind die Fallwinde hierzulande, aber auch die zerzausenden Stürme an den Küsten des Mittelmeers, moderate Erfrischungen.
Quellen: M.Sc. Met. Stefan Bach: Piteraq. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 16.12.2015
Erstellt am 16. Dezember 2015
Zuletzt aktualisiert am 16. Dezember 2015

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