Freshman-15-Effekt bringt rund sieben Kilo mehr auf die Waage

Studieren macht dick

von Holger Westermann

Bildungshunger lässt nicht nur den Geist merklich Substanz gewinnen, sondern auch Bauch und Hüfte. Der neue Lebensstil in der Aura Academica vergrößert den intellektuellen Horizont ebenso zuverlässig wie die Körpermasse, bei Zahnmedizinern und Sportstudenten gleichermaßen. Dennoch gibt es messbare Unterschiede.

Als „Freshmen“ bezeichnen ältere Kommilitonen die Studenten im ersten und zweiten Semester. „Freshman 15“ etikettiert den Effekt, dass die jungen Menschen im ersten Studienjahr 15 amerikanische Pfund (rund 7 kg) an Körpermasse zulegen - und zwar Körperfett, nicht Muskelmasse. Weniger akademische und unverhohlen spöttisch sind die Titel „First Year Fatties“ (etwa Zweitsemester-Fettsäcke) oder „Fresher Spread“ (etwa Jungstudenten Aufblähung / Festessen).

Genau diesen Effekt untersuchte eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Kemmler am Institut für Medizinische Physik der Universität Erlangen-Nürnberg (Bayern, Deutschland). Dazu untersuchten sie die Entwicklung der Körpergewichts und des Körperfettanteils bei 61 ausbildungsbedingt körperlich überwiegend inaktive Zahnmedizinstudenten (zu Studienbeginn durchschnittlich 20,8 Jahre alt) sowie 53 körperlich hochaktive Sportlehramt-Studenten (20,5 Jahre alt) während des Studiums (Gesamtdauer durchschnittlich 4,8 ±0,5 Jahre). Für die Langzeituntersuchung konnten in beiden Studiengängen annähernd so viel Frauen wie Männer gewonnen werden.

Mit spezifischen Fragebögen wurden die soziodemographischen Daten. Erkrankungen, Risikofaktoren, Schmerzen und Daten zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität sowie die Körperliche Aktivität (Sporttreiben und körperliches Training) erfasst. Die körperliche Verfassung wurde durch eine medizinische Untersuchung in einen MetS-Indexwert zusammengefasst (berücksichtigt sind fünf geschlechtertypische Symptome des metabolischen Syndroms):

  • Menge und Verteilung des Körperfetts
  • Konzentration von Serumtriglyceriden im Blut
  • Konzentration von HDL-Cholesterol im Blut
  • Konzentration des Zuckers im Blut (Nüchternblutzucker)
  • Blutdruck

Die ersten Messungen (Fragebogen und medizinische Untersuchung) wurden in den ersten 4 Wochen nach Studienbeginn durchgeführt, ergänzt wurden die Daten durch ein ein 4-tägiges Ernährungsprotokoll, das die Studenten mittels einer speziellen Software aufzeichneten. Diese Befragung, die medizinische Untersuchung und das Ernährungsprotokoll wurden alle zwei Jahre wiederholt. Erfolgte der Studienabschluss vor dem 10. Semester, wurde zu diesem Zeitpunkt eine Abschlussuntersuchung durchgeführt.

"Betrachtet man die Veränderung des Körpergewichts, so zeigen sich die deutlichsten Zunahmen im jungen Erwachsenenalter", erläutert Prof. Kemmler. Dann steigt das Körpergewicht fünfeinhalb Mal so stark wie in anderen Lebensphasen (unabhängig vom Wachstum während der Kindheit). "Die plötzliche Veränderung der Ernährungsgewohnheiten und der zunehmende Mangel an sportlichen Freizeitaktivitäten führen in dieser Zeit geradezu zwangsläufig zu einer Gewichtszunahme". Dieser Effekt ist nicht auf Jungakademiker beschränkt, er lässt sich auch bei Azubis (Auszubildende, Lehrlinge) beobachten.

Die Regelstudiendauer für Sportstudenten (Lehramt Sekundarstufe II) beträgt 9 Semester und verpflichtet zu 900-1050 Sportstunden. Hinzu kommen noch körperlich aktive Prüfungsvorbereitungen und die sportpraktischen Prüfungen, so dass jeder Student auf durchschnittlich rund 9 Stunden Sport pro Woche kommt. Die Regelstudienzeit für Zahnmedizin beträgt 11 Semester und ist durch eine Vielzahl von Vorlesungen, Kolloquien, praktischen Veranstaltungen und Prüfungen mit hohem Lernaufwand geprägt. Vorherrschend sind dabei Tätigkeiten im Sitzen oder Stehen bei insgesamt niedrigem körperlichen Aktivitätsniveau.

Zu erwarten wäre daher, dass zwar die Zahnmediziner mit ihrem Gewicht zu kämpfen haben, die Sportstudenten aber aufgrund der hohen athletischen Anforderung kaum Körpermasse ansetzen oder sie gar reduzieren können. Doch die Datenauswertung zeigt ein ganz anderes Ergebnis: Beide Studentengruppen gewannen an Gewicht. Die Sportstudenten legten durchschnittlich 2,0 kg zu, bei den Zahnmedizinern waren es 3,2 kg. Doch Gewichtszunahme bedeutet nicht zwingend auch Anstieg des Körperfettanteils. Bei der detaillierten medizinischen Untersuchung zeigte sich, dass Sportstudenten primär Muskelmasse aufbauten, während die Zahnmediziner tatsächlich vor allem Körperfett ansammelten.

Diese Differenz dokumentierte sich auch in den physiologischen MetS-Daten. Während sich der durchschnittliche MetS-Z-Score der Sportstudenten im Verlauf des Studiums leicht verbesserte, verschlechterte sich der Wert bei allen Zahnmedizinern deutlich (1.44 ±0.78, p<.001). Insbesondere Taillenumfang, Blutdruck und die Triglyzeridkonzentration im Blut verschlechterten sich bei den Zahnmedizinern im Verlauf des Studiums.

Aus medizinischer Sicht erfreulich war jedoch, dass beide Studentengruppen ihre habituelle körperliche Aktivität zu Beginn des Studiums erst einmal steigerten. Wobei das Startniveau der späteren Sportstudenten schon deutlich höher lag als das der Zahnmediziner (die mussten ja auch ein sehr gutes Abitur vorbereiten). Die zukünftigen Sportlehrer hatten schon zu Studienbeginn deutlich bessere körperliche Konstitution als ihre  Kommilitonen der zahnmedizinischen Fakultät.

In ihrem Fazit empfehlen die Forscher den Studenten „regelmäßiges und intensives körperliches Training“ als „zentralen Schutzfaktor zur Vermeidung kardiometabolischer Risiken, der möglicherweise auch ungünstige Lebensstiländerungen kompensieren kann.“ Kurz gesagt: Wer sich schindet darf auch schlemmen, wer trainiert darf auch trinken.

Quellen:

Kemmler, W. et al. (2015): Körperliche Belastung und kardiometabolisches Risiko bei jungen Erwachsenen. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 66 (4): 85-91. DOI: 10.5960/dzsm.2015.175

Erstellt am 1. Dezember 2015
Zuletzt aktualisiert am 1. Dezember 2015

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