Angepasster Hell-Dunkel-Wechsel garantiert noch keine Jetlag-Reduktion

Himmelsfarbe und Helligkeit justieren gemeinsam die innere Uhr

von Holger Westermann

Fast alle Lebewesen orientieren sich mit ihrer Stoffwechselaktivität an der 24-Stunden-Zeitspanne eines Tages (circadianer Rhythmus).  Von zentraler Bedeutung ist der Schlaf-Wach-Wechsel. So sind Menschen tagsüber fit und schlafen nachts; bei Mäusen ist es umgekehrt. Zum Erwachen steigen Blutdruck, Herzfrequenz und Körpertemperatur, zum Einschlafen werden sie abgesenkt. Bisher hielt man die Länge des lichten Tages für den einzigen Trigger - doch offensichtlich spielt auch die Farbe des Lichts eine wichtige Rolle.

Zwischen nahezu weißem Tageslicht und der Dunkelheit bei Nacht liegen am Morgen und Abend Phasen der Dämmerung mit sehr charakteristischem Farbspektrum. Das Licht der tiefstehenden Sonne muss einen längeren Weg durch die unteren staub- und wasserdampfreichen Atmosphäreschichten zurücklegen als zur Mittagszeit. Dadurch wird das kurzwellige blaue Licht stärker gestreut als das langwellige rote. So erscheint der Himmel tagsüber blau und zur Dämmerung rot (Rayleigh-Streuung).

Wissenschaftler um Dr. Timothy Brown von der University of Manchester (Großbritannien) untersuchten den Einfluss des Wechsels der Lichtfarbe auf den Schlaf-Wach-Rhythmus von Mäusen. Dabei nutzten sie jedoch nicht die relativ kurz währende Rotfärbung, sondern das tiefblaue Licht der Stunde vor Sonnenauf- und nach Sonnenuntergang. Photographen nutzen diese „blaue Stunde“ gern für besonders stimmungsvolle Aufnahmen, denn die Lichtintensität des Himmels entspricht dann der von elektrischer Beleuchtung entlang von Straßen oder an Gebäuden.

Die tiefblaue Färbung geht nicht auf die Rayleigh-Streuung zurück, sondern wird durch das Ozons (O3) in der oberen Atmosphäre verursacht. Diese Gas konzentriert sich in der Stratosphäre und absorbiert Licht im ultravioletten, gelben, orangen und roten Spektrum - übrig bleibt blau (Chappuis-Absorption). Steht die Sonne morgens noch (oder abends schon) unterhalb des Horizonts, erstrahlt die bereits (oder weiterhin) beleuchtete Ozonschicht in dunkelblau. "Überraschenderweise fanden wir heraus, dass diese Farbveränderung sogar besser die Position der Sonne zum Horizont verriet als die Helligkeit", erläutern die Forscher. So beeinflusse eine dichte Wolkendecke die Helligkeit zwar deutlich, die Farbe des Lichts jedoch nur wenig (durch Abgrauen).

Dieser zeitlich ausgedehnte Farbwechsel wurde genutzt, um den Tageslauf von Labormäusen zu triggern. Wie für nachtaktive Tiere zu erwarten, stieg die Körpertemperatur zu Beginn der Nacht, sobald sich das weiße Tageslicht zur blauen Stunde dimmte. Einer experimentellen Änderung der Tageslänge, wie sie im Jahreslauf auch in der Natur vorkommt, passten sich die Tiere an. Die Forscher hatten den 12-Stunden-Durchschnittstag auf einen 18-Stunden-Sommertag verlängert. Die Tiere reagierten mit einer Veränderung ihres Aktivitätsrhythmus*. Dabei war der Farbwechsel offensichtlich von größerer Bedeutung als die Veränderung der Lichtintensität.

Wurde nur die Helligkeit des Labor-Himmels verändert, die Lichtfarbe aber nicht, zeigten die Mäuse keine adäquate Anpassung des Aktivitätsmusters. Oftmals stieg bei diesen Tieren die Körpertemperatur frühzeitig, der Schlaf-Wach-Rhythmus entsprach nicht der experimentell vorgegebenen Tageslänge. Allein durch die Lichtintensität wurde die innere Uhr der Mäuse nicht hinreichend genau justiert.

Wurden Helligkeit und Farbe entsprechend eines normalen Tage-Nacht-Wechsels mit Dämmerungsphasen verändert, passten sich Labortiere dagegen präzise an. Der typische Farbwechsel unterstützt dabei die Wirkung der veränderten Lichtintensität. „Zwar funktioniert die innere Uhr auch allein durch Helligkeit, aber die spektrale Zusammensetzung des Lichts trägt dazu bei, die physiologischen Rhythmen und das Verhalten präzise zu timen." so die Forscher in ihrem Fazit. „Theoretisch könnte man die Lichtfarbe nutzen, um beispielsweise bei Schichtarbeitern die innere Uhr anzupassen oder bei Reisenden die Folgen des Jetlag zu reduzieren.“





* Genetisch veränderte Vergleichstiere, deren Auge das Dämmerungsblau nicht wahrnehmen konnten, verschoben ihre Aktivitätszeit nicht.

Quellen:

Walmsley, L. et al. (2015): Colour As a Signal for Entraining the Mammalian Circadian Clock. PLOS Biology, online veröffentlicht am 17.04.2015. doi: 10.1371/journal.pbio.1002127.

Erstellt am 24. April 2015
Zuletzt aktualisiert am 24. April 2015

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