Bei schlanken Menschen wird die Herzerkrankung oftmals zu spät bemerkt

Adipöse Herzinsuffizienz-Patienten leben länger

von Holger Westermann

Übergewichtige Patienten mit einer chronischen Herzmuskelschwäche haben nach der Diagnose eine größere Lebenserwartung als normalgewichtige Menschen, deren Herz aufgrund verminderter Pumpleistung nicht mehr ausreichender Druck in den Arterien aufbaut, um einen zuverlässigen Kreislauf des Blutes zu garantieren (systolische Herzinsuffizienz).

Für eine Langzeitstudie analysierte die Arbeitsgruppe um Frau Prof. Dr. Anita Deswal am Baylor College of Medicine (Houston, Texas, USA) die Daten von 1.487 Patienten der ARIC-Studie (Atherosclerosis Risk In Communities). Sie nutzten den Body-Mass-Index (BMI) der Patienten, der drei Monate vor der Diagnose chronische Herzinsuffizienz bestimmt worden war, um sie in drei Kategorien einzuteilen:

  • normalgewichtig, BMI 18,5 - 25 kg/m², 18%
  • übergewichtig, BMI 25 – 30 kg/m², 35%
  • adipös, BMI > 30 kg/m², 47%

Im Verlaufe des zehnjährigen Beobachtungszeitraumes starben 43 % der Herzinsuffizienz-Patienten. Nicht bei allen war die Herzmuskelschwäche Todesursache, deshalb wurden für die Analyse Krebs- oder Diabeteserkrankungen sowie der Nikotinkonsum statistisch herausgerechnet. Es zeigte sich, dass im Vergleich zu normalgewichtigen Patienten die übergewichtigen auf ein um 28% reduziertes Sterberisiko hoffen dürfen, die adipösen sogar auf eine Reduktion um 30%.

Dieses sogenannte Adipositas-Paradoxon, das sich bereits bei Kurzzeitstudien gezeigt hatte, wurde nun auch durch eine Langzeitbeobachtung bestätigt: Zwar steigt mit dem Gewicht die Wahrscheinlichkeit zu erkranken, bei manifester Erkrankung wächst aber die Überlebenswahrscheinlichkeit mit dem Körperfettanteil. Insgesamt betrachtet tragen normalgewichtige Menschen ein geringeres Risiko frühzeitig an den Folgen von Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben. Unter den Diabetes- oder Herzpatienten sind jedoch die übergewichtigen oder gar adipösen privilegiert.

Gelingt es durch eine Gewichtsreduktion den Patientenstatus zu verlassen, steigt auch die Überlebenswahrscheinlichkeit wieder an. Doch diese, durch Reduktionsdiät Gesundeten, sind ein eher seltener Fall und fallen in den meisten Studien aus der medizinischen Beobachtung.

Doch die Forscher vermuten noch einen anderen Effekt hinter dem Adipositas-Paradoxon bei chronischer Herzinsuffizienz: Bei schlanken Menschen wird die Erkrankung erst sehr viel später diagnostiziert als bei stark beleibten. Charakteristisch für die chronische Herzmuskelschwäche ist, dass der Körper die Folgen über weite Zeiträume kompensieren kann. Durch schnelleren Herzschlag, Verdickung des Herzmuskels, Engstellung der Blutgefäße oder Erhöhen des Blutvolumens (Wassereinlagerung, Appetit auf Salz) kann die reduzierte Pumpleistung des Herzens ausgeglichen werden. Erst bei körperlicher Anstrengung, die bei adipösen Menschen eher zur Belastung wird als bei schlanken, zeigen sich die Symptome wie Luftnot (Dyspnoe) und Angina pectoris. Bei fortschreitender Erkrankung treten diese bereits in Ruhe oder unter geringer Belastung auf, zudem zeigen sich pathologischen Wasseransammlungen in den Beinen (Ödeme). Davon sind übergewichtige und adipöse Menschen sehr viel schneller betroffen als normalgewichtige. Womöglich wird deshalb auch die Herzinsuffizienz sehr viel früher diagnostiziert. Das Adipositas-Paradoxon beschriebe dann keinen Überlebensvorteil durch Übergewicht, sondern schlicht den Zeitraum, den schlanke Menschen ohne Diagnose leben.

Quellen:

Khalid, U. et al. (2014): Pre-Morbid Body Mass Index and Mortality After Incident Heart Failure : The ARIC Study. Journal of the American College of Cardiology 64 (25): 2743–2749. doi:10.1016/j.jacc.2014.09.067

Erstellt am 13. Januar 2015
Zuletzt aktualisiert am 13. Januar 2015

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