Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die Folge

Schichtarbeit und Jetlag irritieren Darmbakterien

von Holger Westermann

Wird der Tag-Nacht-Rhythmus gestört leiden kurzfristig Schlafqualität und Konzentrationsfähigkeit, langfristig können Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Übergewicht und Diabetes auftreten. Bisher wurde dafür vor allem die Irritation des Gehirns dafür verantwortlich gemacht, doch offensichtlich sind auch die Darmbakterien beteiligt: Unregelmäßige Nahrungsaufnahme oder der Wechsel im Speiseplan verändern die Darmflora und begünstigen das Wachstum ungesunder Darmbewohner.

Man könnte auch sagen: Die Kommensalen kommandieren den Gastgeber und bestehen auf verlässliche Mahlzeiten. Unter Kommensalismus (lateinisch „commensalis“ für „Tischgenosse“) versteht man in der Biologie und Medizin eine Ernährungs-Gemeinschaft von Lebewesen unterschiedlicher Arten, die für Angehörige der einen Art positiv, für diejenige der anderen Art neutral ist. Beim Menschen zählen jene Mikroorganismen zu den Kommensalen, die im Darm die Darmflora bilden. Je nach Nahrungszusammensetzung vermehrt sich mal die eine Bakterienart optimal oder ein andermal eine andere. Denn Bakterien sind Spezialisten für bestimmte Nahrungskomponenten.

Doch offensichtlich sind die intertestinalen* Kommensalen auch sehr empfindlich gegenüber zeitlicher Veränderungen im Speiseplan. Wird durch Schichtarbeit oder Jetlag die innere Uhr verstellt, gerät auch die Darmflora aus dem Takt, wodurch die betroffene Person rasch Stoffwechselprobleme und mittelfristig Übergewicht entwickelt. Darauf deuten die Ergebnisse einer experimentelle Studie hin.

Ein Forscherteam um Dr. Eran Elinav vom Weizmann Institute of Science (Rechovot, Israel) untersuchten in Kotproben von Mäusen und Menschen die Zusammensetzung der Darmflora. Dabei stellten die Wissenschaftler fest, dass sich die Zusammensetzung der Darmbakterien und ihre biologische Aktivität mit der Tageszeit änderten. Die Darmflora zeigte eine eigene circardiane Rhythmik – eine regelmäßige Veränderung im Tagesverlauf. Offensichtlich war dies jedoch nicht unmittelbare Folge der Bakterienaktivität selbst (beispielsweise aufgrund synchroner Vermehrungszyklen), sondern ein mittelbarer Effekt der inneren Uhr des Wirtes (Maus oder Mensch). Die Aktivitätsphasen, Ruhe und Nahrungsaufnahme des Wirtes beeinflussten die Zusammensetzung Darmflora und damit auch der Bakterienkultur im Kot.

Nun griffen die Forscher experimentell in den Tag-Nacht-Ryhthmus der Mäuse ein. Sie veränderte die Beleuchtungs- und die Fütterungszeiten. Die untersuchten Menschen begaben sich berufsbedingt auf Interkontinentalflüge und erlebten einen vergleichbaren Eingriff in ihren Tagesablauf. Bei beiden Wirtsgruppen brachte dieses Rhythmus-Chaos die Darmflora aus dem Gleichgewicht. Bekamen die Mäuse zudem noch besonders fettreiches Futter (bei Menschen wurde auf diesen Teil des Experimentes verzichtet), nahmen sie deutlich an Gewicht zu und entwickelten massive Stoffwechselprobleme und Glukoseintoleranz, ein Anzeichen für Diabetes.

Als die Forscher die Darmflora der Jetlag-gepeinigten Mäuse auf Artgenossen übertrugen, die keimfrei aufgezogen worden waren, ansonsten aber unter Normalbedingungen lebten, nahmen auch diese rasant an Gewicht zu und entwickelten Diabetes-Symptome. Kontrolltiere ohne Darmflora-Übertragung zeigten dagegen auch bei Futter mit hoher Energiedichten keine Gewichtszunahme oder sonstigen Gesundheitsprobleme. Durch den experimentellen Eingriff in den Tag-Nacht-Rhythmus der Mäuse wuchsen in ihrem Darm solche Bakterien besonders gut (sie wurden regelrecht gezüchtet), die Stoffwechselprobleme provozieren - und dieses Gesundheitsrisiko lässt sich mit den Bakterien auf gesunde Tiere übertragen.

Auch bei den Jetlag-Menschen erkannten die Forscher eine deutliche Veränderung der Darmflora. Insbesondere entwickelten sich bei ihnen solche Bakterien besonders prächtig, die im Verdacht stehen mit Übergewicht und Stoffwechselerkrankungen zu provozieren. Auch hier reagierten zuvor keimfrei aufgezogene Mäuse, die experimentell mit Bakterien aus dem Darm solcher Menschen in Kontakt kamen, mit erhöhtem Blutzuckerspiegel und rasch ansteigendem Gewicht.

Die Forscher betonen zwar, dass die Ergebnisse ihrer Studie aufgrund der geringen Zahl an Versuchstieren und Versuchspersonen nur als „vorläufig“ oder „Hinweise“ gewertet werden können. Sie vermuten jedoch, dass die Wechselwirkungen zwischen Darmflora und Wirt – Komensalen und Gastgeber – keine Einbahnstraße ist, sondern eine wechselseitige Beeinflussung stattfindet. Stören häufige Flugreisen oder Schichtarbeit den Tages-Rhythmus der Darmbakterien-Gemeinschaft kann dies erhebliche und nachhaltige Folgen für die Gesundheit der betroffenen Menschen haben. Bei ihnen gedeihen Bakterien besonders gut, die mit Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht werden.

* intertestinal; neulateinisch (Medizinerlatein) für „zum Darmkanal gehörend“.

Quellen:

Thaiss, C.A. et al. (2014): Transkingdom Control of Microbiota Diurnal Oscillations Promotes Metabolic Homeostasis.Cell, online veröffentlicht am 16.10. 2014.  doi: 10.1016/j.cell.2014.09.048

Erstellt am 29. Oktober 2014
Zuletzt aktualisiert am 29. Oktober 2014

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