Wetter

Frontgewitter wüten über Balkan und Mittelmeer

von Holger Westermann

Eine markante Luftmassengrenze, die sich zunächst von Frankreich über den Alpenraum bis nach Osteuropa erstreckte, verlagert sich nun langsam südwärts. Auf breiter Front treffen vom Norden über die kalte Nordsee (16°C) einströmende Polarluft und von Süden über das bereits gut erwärmte Mittelmeer (23°C) herangeführte feuchte subtropische Luft aufeinander. Beim Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Luftmassen entwickeln sich heftige Gewitter mit unwetterartigem Starkregen und Hagel, Sturmböen und gesundheitsgefährdendem Temperatursturz.

Entlang der Luftmassengrenze wird die leichtere feuchtwarme Mittelmeerluft zum Aufsteigen gezwungen. Je nachdem welchem Luftstrom die größere Dynamik zugesprochen wird, sprechen die Meteorologen vom Aufgleiten der Warmluft auf die schwerere Kaltluft oder sie erkennen ein Anheben der warmen Luft durch bodennah einfließende Kaltluft. Die aktuelle Situation über Mitteleuropa lässt beide Interpretationen zu, denn die Bewegung wird von Süden wie von Norden dynamisch unterstützt.

Die Aufsteigenden Luft erzeugt am Boden einen Unterdruck, entlang der Luftmassengrenze entwickelte sich eine langgestreckte Bodentiefdruckrinne. Auf der Südseite der Rinne entwickeln sich in der feuchtwarmen und damit sehr energiereichen Luft schwerer Gewitter. Die Lageveränderung der Luftmassengrenze kann an der Frontgewitter-Linie abgelesen werden, dort drohen auf breiter Front schwere Unwetter.

Dabei fällt die Temperatur um rund 10°C:

  • Kaltluft verdrängt die Warmluft
  • Regen oder gar Hagel kühlen Luft und Boden
  • Dunkler Himmel, Wind und Niederschlag senken die gefühlte Temperatur noch stärker als den Thermometerwert


Für wetterempfindliche Menschen bedeutet so ein Temperatursturz eine ernsthafte Gesundheitsgefahr. Selbst bei noch moderatem Thermometerwert beginnen wärmegewöhnte Menschen zu frösteln. Für den Körper ist das ein Signal sich auf eine kühle Umgebung einzustellen:

  • Die Adern ziehen sich zusammen, der Blutdruck steigt, ein Risiko für Herz-Kreislauf-Patienten
  • Muskulatur, auch Atemmuskulatur (Asthma), neigt zu Verkrampfungen
  • Druck auf die Gelenke nimmt zu, insbesondere Menschen mit Rheuma und Arthrose spüren das
  • Bei Menschen mit Fibromyalgie verstärkt sich oftmals das Schmerzempfinden


Schutz vor dem Temperatursturz gibt es kaum, denn freiwillig ist bei diesem Wetter ohnehin niemand im Freien. Doch oft genügt schon ein Blick aus dem Fenster um zu frösteln. Glücklicherweise hat sich die Luftmassengrenze und damit die Linie der Frontgewitter in Richtung Balkan verlagert.

Am Montag lag der Schwerpunkt der Gewittertätigkeit noch im Alpenraum. Besonders betroffen waren Teile der Schweiz und Kärntens. Extremer Starkregen führte vielerorts zu Überflutungen, in Klagenfurt beschädigten Hagelkörner von mehrere Zentimetern Durchmesser zahllose Autos und Gebäude.

Am Dienstag zogen die Unwetter über Norditalien, Slowenien und den Norden der Balkanhalbinsel hinweg. Während in Italien und Slowenien insbesondere extremer Starkregen auftrat (Bovec in Slowenien: 73 l/m2 in 24 Stunden), ging in Kroatien, Serbien und Bosnien-Herzegowina die größte Gefahr von Hagelschlag aus. Dort wurden Hagelkörner mit einem Durchmesser von bis zu 4 Zentimetern beobachtet. In Rumänien und Bulgarien wurden die Gewitter stellenweise von Orkanböen begleitet.

Auch am Mittwoch war das nahezu identische Gebiet von Unwettern betroffen, wobei insbesondere in Bosnien-Herzegowina, Serbien und Rumänien sehr langlebige und intensive Gewitterzellen (Superzellen) durch extrem heftigen Starkregen, großkörnigen Hagel (bis 7 cm Durchmesser) sowie Sturm- und Orkanböen viel Schaden anrichteten. Im serbischen Sopic nahe Belgrad wurde ein Tornado beobachtet, der über 100 Häuser beschädigte.

Doch auch nördlich der Luftmassengrenze entwickelte sich das Wetter spektakulär. Ein Höhentief verlagerte sich von der Nordsee über Norddeutschland und das Erzgebirge südostwärts. Dabei regnete es zunächst in Nord- und Ostdeutschland sowie Polen und Tschechien in kräftigen Schauern, gebietsweise entstanden auch Gewitter. In Berlin-Dahlem ergossen sich innerhalb von 24 Stunden 40 l/m2.

Solche Frontgewitter können ganze Landstriche mit Unwettern überziehen. Sie erstrecken sich entlang der Luftmassengrenze über hunderte von Kilometern und verfügen über einen steten Energienachschub in Form von feuchtwarmer Luft. Typische Sommer- oder Wärmegewitter sind dagegen ein kurzlebiges und nur lokal wirksames Wetterphänomen. Zwar können Starkregen, Hagelschlag und Sturm auch bei Wärmegewittern enorme Zerstörungen anrichten, aber wenige Kilometer entfernt regnet es keinen Tropfen.

Wärmegewitter entstehen, wenn tagsüber erhitzte Luft in der Atmosphäre aufsteigt. Dabei kühlt die Luft ab und die enthaltenen Feuchtigkeit kondensiert, es bilden sich Wolken. Regentropfen oder Eiskristalle, die groß genug sind um zu Boden zu fallen, werden durch die aufwärtsgerichtete Luftströmung immer wieder nach oben gerissen. Beim Herabfallen tauen sie, oben in der Wolke gefrieren sie wieder. Dabei können mehrere Runden durchlaufen werden. So entstehen in den ambosförmigen Wolken der Wärmegewitter Hagel und die sehr großen Regentropfen. Die Abkühlung ist auch bei Wärmegewittern spürbar, doch geht dann auch die Schwüle zurück, sodass der Effekt von den meisten Menschen als angenehm empfunden wird – im Gegensatz zum Temperatursturz der aktuellen Frontgewitter.

Quellen:

Dipl.-Met. Adrian Leyser: Unwetterserie im Süden und Südosten Europas. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 26.06.2014

Erstellt am 26. Juni 2014
Zuletzt aktualisiert am 28. Juni 2014

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