Großer Placebo-Effekt reduziert den Nutzen einer Gelenk-Operation

Blick ins Knie ist ein Schuss in den Ofen

von Holger Westermann

Von einer Arthroskopie des Kniegelenks versprechen sich Arthrosepatienten Linderung ihrer Schmerzen und einen größtmöglichen Gewinn an Beweglichkeit. Dafür nehmen sie eine Operation in Kauf, bei der das Gelenk mit Kochsalzlösung gespült wird (Lavage) sowie Veränderungen an Meniskus oder Knorpel abgehobelt werden (Debridement). Offensichtlich ist der Nutzen dieser Operationen verschwindend gering – zumindest nicht groß genug, um die Operationsrisiken zu rechtfertigen.

Die Kniegelenk-Arthrose (Gonarthrose) tritt zumeist an beiden Kniegelenken gleichzeitig auf. Zum einen konzentriert sich die genetische Veranlagung und ein hohes Körpergewicht nicht auf ein Bein, zum anderen wird bei Kniebeschwerden in einem Bein automatisch das zweite stärker beansprucht. Eine einseitige Gonarthrose ist zumeist Folge einer Verletzung oder Fehlstellung. Laut Welt-Gesundheits-Organisation (WHO) leiden weltweit weltweit rund 10% der Männer und 18% der Frauen über 60 Jahre an einer Arthrose, vorwiegend der Hüftgelenke und Kniegelenke. In Mitteleuropa liegt die Lebenserwartung weit über dem Welt-Durchschnitt und damit auch die Quote der Arthroseerkrankten, deren Erkrankungswahrscheinlichkeit mit dem Lebensalter zunimmt (Gesamtlebenszeitprävalenz). So erkranken in Deutschland rund 17 % aller Männer und 27 % aller Frauen im Laufe ihres Lebens an Arthrose.

Die chronisch fortschreitende Erkrankung führt zu Veränderungen an den betroffenen Gelenken bei der die Knorpelstruktur angegriffen wird. Die Folge sind eingeschränkte Beweglichkeit, anhaltende Schmerzen und Fehlstellungen bis hin zu Instabilität der Gelenke. Die Einbuße an Lebensqualität ist erheblich, der zunehmende Leidensdruck lässt viele Patienten auf eine erfolgreiche Operation hoffen.

Im Rahmen einer systematischen Nutzenbewertung verglich das deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) den patientenrelevanten Nutzen einer therapeutischen Arthroskopie mit mehreren Behandlungsalternativen, u.a.:

  • keine Behandlung
  • eine Scheinbehandlung (Placebo-OP mit kleinem Einschnitt am Knie)
  • Physiotherapie
  • Spritzen von Glukokortikoiden (Kortison) direkt ins Kniegelenk

Dazu werteten die Forscher elf Studien aus, die den wissenschaftlichen Anforderungen des IQWiG standhielten. Dabei galt eine Therapie als wirksam, wenn für die Patienten ein konkreter Nutzen, ein Gewinn an Lebensqualität feststellbar war:

  • ob sich die Beweglichkeit verbesserte,
  • ob Schmerzen nachließen,
  • ob Nebenwirkungen oder Komplikationen (beispielsweise Infektionen des Kniegelenks) auftraten.


Die Arthroskopie war kaum wirksamer als eine Placebo-OP. Dafür war jedoch vorrangig der unerwartet stark positive Effekt der simulierten Operation verantwortlich. Doch eine so drastische Maßnahme (und potentielle Ent-Täuschung der Patienten) ist gar nicht notwendig, um einen vergleichbaren Gewinn an Lebensqualität zu erreichen. Auch andere Therapieformen wie beispielsweise eine gezielte Physiotherapie wirkten genauso gut gegen Schmerzen und Steifigkeit.

Als weniger wirksam stellt sich im Vergleich dazu die Injektion von Kortison ins Kniegelenk heraus. Wobei eine geringere Wirksamkeit bei diesem vergleichsweise leichten Eingriff eher zu verschmerzen ist, als eine Arthroskopie ohne Zusatznutzen. Das Fazit der IQWiG-Wissenschaftler ist daher eindeutig: „Der Nutzen einer Arthroskopie des Kniegelenks zur Behandlung von Gonarthrose ist nicht belegt.“

Quellen:

Vorbericht zu Arthroskopie des Kniegelenks bei Gonarthrose veröffentlicht. Pressemitteilung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), veröffentlicht am 10.09. 2013.

Arthroskopie des Kniegelenks bei Gonarthrose. Abschlussbericht zur Nutzenbewertung N11-01, veröffentlicht am 12.05. 2014 durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)

Erstellt am 13. Mai 2014
Zuletzt aktualisiert am 13. Mai 2014

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