Kurzzeitbeobachtung bei Menschen mit Fibromyalgie wenig hilfreich

Studie leugnet Wetterempfindlichkeit bei FMS-Patienten

von Eva-Maria Westermann

Menschen, die unter Fibromyalgie leiden, klagen über eine besondere Empfindlichkeit gegenüber Wetterwechsel. Speziell bei feuchtkalter Witterung sollen sich die Symptome verstärken. Ein niederländisches Forscherteam hat diesen Effekt systematisch untersucht, konnte aber keinen systematischen Zusammenhang zwischen Wetterentwicklung und Gesundheitsbeschwerden finden. Aufgrund der Datenerhebung und des Versuchsdesigns wird die Studie jedoch von anderen Experten kritisiert.

Die niederländischen Forscher von der Universität Utrecht beauftragten 403 erwachsene Frauen mit diagnostizierter Fibromyalgie an 28 aufeinander folgenden Tagen ein Tagebuch über ihre Gesundheitsbeschwerden zu führen. Im Fokus standen Schlafqualität, Schmerzintensität, Beweglichkeit und allgemeines Wohlbefinden. Ausgewertet wurden alle Tagebücher, die zumindest an 14 Tagen Einträge aufwiesen, Lücken wurden entgegen dem ursprünglichen Versuchsdesign akzeptiert. Insgesamt konnten noch 333 Patientenprotokolle, die sich überschneidend zwischen Juli 2005 und Januar 2006 geführt wurden, ausgewertet werden.

Zwar konnten einzelne Korrelationen (mathematische Zusammenhänge) zwischen Wetter und Symptomen festgestellt werden (beispielsweise lassen die Schmerzen bei längerer Sonnenscheindauer nach) doch in ihrem Fazit sehen die Autoren der Studie keinen medizinisch relevanten Zusammenhang: „Diese vereinzelten signifikanten Einflüsse waren sehr gering und inkonsistent“. Zur Erklärung, warum so viele Menschen mit Fibromyalgie über Wetterempfindlichkeit klagen, bemühen die Autoren ein Argument, dass den Betroffenen bekannt vorkommen wird: „Die der Krankheit zugrundeliegenden Mechanismen sind größtenteils unbekannt. Vertreter der kognitiven Psychologie vertreten die Auffassung, dass Menschen trotzdem nach Erklärungen suchen, um ihre Lage besser zu verstehen.“ Kurz: Die Patienten bilden sich die Wetterempfindlichkeit nur ein – genau mit solch einem Argument der „Eingebildeten Erkrankung“ wurden Menschen mit Fibromyalgie bereits von Arzt zu Arzt geschickt, gelegentlich auch zu einem dieser Psychologen.

In einer Besprechung des niederländischen Artikels auf Medscape Deutschland, dem Wissens- und Informationsportal für deutsche Fach- und Allgemeinärzte, wurde insbesondere das Versuchsdesign kritisiert. „Der jeweilige Untersuchungszeitraum von einem Monat war zu kurz für aussagekräftige Ergebnisse.“ bemerkte beispielsweise der Menschenswetter-Autor Holger Westermann in seiner Interview-Stellungnahme. Er verwies im Interview auch auf das Design der eigenen Menschenswetter-Studie zur Wetterempfindlichkeit bei Fibromyalgie. Hier werden pro Patientenprotokoll zumindest 80 Einträge erwartet, die sich im Idealfall über ein ganzes Jahr erstrecken. Dabei wird nach der Änderung der Symptome gefragt: Wie fühlen Sie sich im Vergleich zu gestern? Dadurch bedarf es keiner kontinuierlichen Protokollführung Tag-für-Tag, denn es werden nur die Befindlichkeitsänderungen mit den Wetteränderungen angeglichen. Kein Patient kann seine Schmerzen oder Schlafqualität im Juni mit denen im Dezember vergleichen. Wer aber konkrete Zahlwerte als Protokolleinträge verlangt, geht genau davon aus, die 4 im Juni soll der 4 im Dezember entsprechen. Das kann niemand seriös leisten – deshalb sollte man auch so keine Daten erheben.

Die Menschenswetter-Protokolle vermeiden diesen Fehler, doch sie haben ein anderes Manko zu bewältigen. Die Mehrzahl der Menschen mit Fibromyalgie, die im Rahmen des wissenschaftlichen Projektes auf Menschenswetter ein Protokoll führen, tragen vornehmlich schlechte Tage ein. Nur wenige führen das Protokoll, wenn es ihnen besser oder gar rundherum gut geht. Das kann bei der Endauswertung zu einer schiefen Datenverteilung führen, die eine abschließende Bewertung der Ergebnisse schwierig macht. Deshalb unser Appell an alle Teilnehmer der Menschenswetter-Studie: Führen Sie Ihr Protokoll auch an guten Tagen!

In der Studie von Bennett und Kollegen aus dem Jahr 2007 klagten rund 80% der 2.569 online befragten Fibromyalgie-Patienten über Wetterempfindlichkeit. Der Anstoß zur Menschenswetter-Fibromyalgie-Studie kann aus den Reihen der Deutschen Fibromyalgievereinigung e.V., da viele Mitglieder untereinander den deutlich spürbaren Wettereinfluss diskutierten. Eine Kurzzeitstudie wird diesem derzeit noch unberechenbaren Einfluss auf die Lebensqualität von Menschen mit Fibromyalgie nicht gerecht. Frau Dr. Brinkmann schließt ihren Artikel auf medscape Deutschland mit dem Fazit: „Letztlich ist es mit der Wetterfühligkeit bei Fibromyalgie wie so oft in der Wissenschaft – es bedarf noch weiterer Forschung.“

Das Menschenswetter-Team versteht dies als Ermutigung für das eigene Forschungsprojekt zur Wetterempfindlichkeit bei Menschen mit Fibromyalgie. Zwar können wir das Wetter dann auch nicht ändern oder die Symptome der Patienten lindern, aber wir können dann eine zuverlässige Prognose für den Einfluss des Wetters der kommenden drei Tage auf die Fibromyalgie-Symptome erstellen. Daran können sich die Menschen mit ihrer Planung für Freizeit und Beruf orientieren, verschiebbare Belastungen meiden, letztendlich Lebensqualität gewinnen. Engagieren Sie sich, machen Sie mit beim Menschenswetter-Forschungsprojekt Fibromyalgie!

Quellen:

Bennett, R.M. et al. (2007): An internet survey of 2,596 people with fibromyalgia. BMC Musculoskeletal Disorders 8: 27. doi:10.1186/1471-2474-8-27


Bossema, E.R. et al (2013): The influence of weather on daily symptoms of pain and fatigue in female patients with fibromyalgia: A multilevel regression analysis. Arthritis Care & Research online veröffentlicht am 4. Juni 2013. DOI: 10.1002/acr.22008


Brinkmann, I. (2013): Wetterfühligkeit bei Fibromyalgie: Einbildung oder Folge schadhafter Nervenfasern? Medscape Deutschland – Rheumatologie online veröffentlicht am 11.06.2013 (Kritischer Kommentar zur Studie von Bossema et al. 2013)

Westermann, H. et al (2013): Wetterfühligkeit beim Fibromyalgie Syndrom (FMS). PO 159, Abstractbook zum Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie vom 6.-9. März 2013, Heidelberg: 174

Erstellt am 12. Juni 2013
Zuletzt aktualisiert am 12. Juni 2013

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