Aktivität der Leber stimuliert Rauschtrinken und Nachdurst

Gieriger Affe und durstiger Kater

von Holger Westermann

Diese tierischen Referenzen illustrieren den Durst in seinem gegensätzlichen Charakter: Am Abend den Appetit auf Alkohol und die berauschte Seligkeit, am nächsten Morgen das kaum stillbare Verlangen nach Wasser bei marterndem Kopfschmerz und allgemeinem Unwohlsein. Angeregt wird die enorme Flüssigkeitsaufnahme durch Stimulation des Durstzentrums im Gehirn über ein Hormon der Leber.

Es ist schon erstaunlich, was Zecher an einem Abend an Flüssigkeit aufnehmen - und auch wieder abgeben. Verantwortlich dafür ist die Hemmung des Hormons Vasopressin (Antidiuretische Hormon, ADH), das die Rückgewinnung von Wasser aus dem Primärharn der Nieren reguliert. Wer Bier, Wein, Sekt oder Schnaps konsumiert, kennt die dosisabhängige harntreibende Wirkung (Nikotin konterkariert diesen Effekt, deshalb verbinden Raucher mit der Zigarette zum Bier auch einen Komfortgewinn). Doch nicht das akute Wasserdefizit im Körper animiert zum Weitertrinken, sondern tatsächlich der zunehmende Durst.

Ein Forscherteam der University of Texas Southwestern Medical Center in Dallas (Texas, USA) hat nun im Experiment mit Mäusen ein Hormon der Leber identifiziert, das nach Alkoholkonsum im Gehirn das Durstzentrum stimuliert. Es ist unter der sperrigen Bezeichnung FGF21 (Fibroblast growth factor 21) bekannt und wird vorrangig bei Nahrungsknappheit ausgeschüttet. Dann senkt es sehr wirkungsvoll den Blutzucker-Spiegel, bewirkt eine erhöhte Empfindlichkeit der Zielorgane für Insulin und senkt die Konzentration der Triglyceride im Blut. Es ist an einem Gutteil der positiven Effekte des Fastens beteiligt.

Die Forscher verglichen die Durstentwicklung bei normalen Mäusen und bei genetisch veränderten Mäusen, die kein FGF21 produzieren konnten. Unter normalen Haltungsbedingungen war die Flüssigkeitsaufnahme in beiden Mäusegruppe gleich groß. Bei einer Fütterung, die einer moderaten Alkoholaufnahme entsprach, offenbarten sich jedoch signifikante Unterschiede: die normalen Mäuse begannen übermäßig zu trinken, bei den genetisch modifizierten blieb der Effekt aus. Die Ausschüttung von FGF21 regte das Durstzentrum im Gehirns der Tiere an und kompensierte so im Voraus den Wasserverlust aufgrund des harntreibenden Effekts von Alkohol.

Das Mäusemodell scheint dem Durst beim Menschen zu entsprechen. In einem weiteren Experiment konnte bei Menschen, die ein Mixgetränk aus Alkohol und Saft getrunken hatten (Gin-Orange?), ein Abstieg der Konzentration von FGF21 im Blut festgestellt werden. Das Maximum wurde zwei Stunden nach dem Alkoholkonsum gemessen, danach fiel der Wert wieder ab. Bei reinem Fruchtsaft blieb der FGF21-Anstieg aus. Ein weiterer Effekt des FGF21 stimmt die Forscher optimistisch: Offensichtlich schwindet bei höherer Konzentration der Appetit weiteren Alkohol zuzuführen - etwas zwei Stunden nach dem ersten Glas. Überwiegt aber in dieser Situation das Angebot an alkoholischen Getränken oder obsiegt die Appetenz nach dem alkoholinduzierten Rauschgefühl, kann der ansteigende Durst zu die Eskalation der Alkoholaufnahme fördern.

Der Nachdurst am nächsten Morgen wird dagegen von den meisten Menschen mit Wasser gestillt. Leicht gesalzen (Mineralwasser) ist die Wirkung noch besser, denn mit der großen Harnmenge wurde auch viele Salze (nicht nur Kochsalz, auch Magnesium und Kalium) ausgeschwemmt. Dieses Defizit wieder auszugleichen, hilft bei der Regeneration. Oftmals sind gar keine großen Mengen Trinkwasser notwendig, um den Körper zu erfrischen. Das zeigte bereits eine experimentelle Untersuchung aus dem Jahr 2016. Denn für den Durst wird nicht nur die Stoffkonzentration im Blut analysiert, sondern auch das Mundgefühl. Trockene Zunge und klebriger Gaumen sind ein Alarmsignal. ein Schluck signalisieren dem Gehirn die Zufuhr von Flüssigkeit. Dabei sind kühle, frische, kohlensaure Getränke besonders effektiv. Davon genügen oftmals schon kleine Mengen, um das Durstgefühl spürbar zu reduzieren. Man muss gar nicht so viel Wasser trinken, damit sich der Körper erfrischt fühlt. Da stimmt das Bild wieder, denn Kater gelten (wie auch Affen, wenn auch aus anderem Grund) als wasserscheu.

Quellen:

Zimmerman, C.A. et al. (2016): Thirst neurons anticipate the homeostatic consequences of eating and drinking. Nature 537: 680 – 684. DOI: 10.1038/nature18950

Song, P. et al. (2018): The Hormone FGF21 Stimulates Water Drinking in Response to Ketogenic Diet and Alcohol. Cell Metabolism, online veröffentlicht 12.04. 2018. DOI: 10.1016/j.cmet.2018.04.001

Erstellt am 27. April 2018
Zuletzt aktualisiert am 27. April 2018

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