Weibliche und männliche Depression sollten differenziert therapiert werden

Geschlechtertypische Veranlagung zur Depression

von Holger Westermann

Selbstzweifel und tiefe Traurigkeit, Furcht vor sozialer Isolation und Lebensangst begleiten viele Jugendliche durch ihre Pubertät. Unter den 15-Jährigen leiden doppelt so viele Mädchen wie Jungen unter einer Depression. Dieser Unterschied egalisiert sich erst bei älteren Erwachsenen über 55 Jahren. Stabil bleibt der geschlechtertypische Verlauf der Erkrankung: Dauer der depressiven Episoden, Stressempfindlichkeit und bei der Wahrscheinlichkeit fataler Folgen.

Geschlechtertypische Charakteristika bei schwerer Depression (major depression) sind offenkundig. Für Frauen ist eine Abfolge kurzzeitiger Episoden tiefer Depression typisch, während Männer seltener, dann aber lang anhaltende Phasen durchleiden. Dabei zeigen Männer sehr viel häufiger hoch riskantes Verhalten, durch Drogenkonsum oder vollendeten Suizid.

Als Erklärungen für diese Geschlechterunterschiede schon bei jugendlichen Patienten wurden physiologische und psychologische wie auch kulturelle Argumente bemüht:

  • Mädchen erleben in der Pubertät einen grundlegenden Wechsel des Hormonhaushalts mit größeren Hormonschwankungen, Knaben lediglich einen graduellen (diese Bewertung kann auch anders getroffen werden).
  • In der weibliche Linie ist Depression erblich (in der männlichen Linie weniger).
  • Mädchen erkranken häufiger an Infektionen und Entzündungen als Knaben.
  • Mädchen haben ein kritischeres, oftmals negatives Körper-Selbstbild.
  • Mädchen sind mit größerer Wahrscheinlichkeit Opfer sexueller Übergriffe.
  • Mädchen wollen (sollen) anderen gefallen, sie sind mehr als Knaben abhängig von Lob und Zustimmung durch andere.
  • Bei Mädchen und Frauen provoziert soziale Zurückweisung eher Ängste als bei Knaben und Männern.
  • Östrogen verstärkt die Stressreaktionen (im präfrontalen Cortex des Gehirns, Ort der Emotionen).
  • Sozialer Stress verstärkt das Depressionsrisiko von Mädchen und Frauen während bei Knaben und Männern reduziertes Selbstwertgefühl als Risikofaktor dominiert.
  • Für Mütter ist die Stressbelastung durch Kinder ein Risikofaktor, für Männer sind es Scheidung oder Probleme im Beruf.

Da einige besonders augenfällige Unterschiede erst im Erwachsenenalter auftreten, fokussierte die Forschung bislang diesen späteren Biographieabschnitt. Forscher der Universität Cambridge (Großbritannien) untersuchten nun für eine Studie Jugendliche im Alter von 11 bis 18 Jahren; 34 gesunde (davon 24 Mädchen) und 108 mit diagnostizierter Major Depression (davon 82 Mädchen). In den Experimenten wurden den Jugendlichen Begriffe genannt, die fröhlich oder traurig stimmen. Darauf sollten sie mit einem Tastendruck mit Zustimmung „go“ oder Ablehnung „no go“ reagieren. Derweil lagen sie in einer MRT-Röhre (Magnet-Resonanz-Tomographie), um die Aktivität einzelner Gehirnareale zu beobachten.


Anhand der fMRT-Bilder (funktionelle MRT) und der Auswertung der go-no go-Reaktionen konnten die Wissen­schaftler erkennen, dass sich die Reaktionen der depressiven Jugendlichen geschlechtertypisch unterschieden. In den Reaktionen auf die Begriffe war kein Unterschied feststellbar. Aufgrund der fMRT-Analyse gehen die Forscher jedoch davon aus, dass Mädchen und Knaben die Depression sehr unterschiedlich erleben. Innerhalb der Geschlechtergruppen zeigten sich kaum Unterschiede in der Gehirnaktivität, zwischen den Geschlechtern waren die Differenzen jedoch augenfällig.

In ihrem Fazit reklamieren die Forscher, dass sie erstmals die geschlechtertypische Aktivität im Gehirn jugendlicher Patienten mit schwerer Depression darstellen konnten. Sie ermutigen zu weiteren Anstrengungen, damit alsbald die neuronalen Mechanismen hinter diesem Geschlechterunterschied besser verstanden werden und diese Erkenntnisse rasch für eine effizientere Therapie der jungen Patienten genutzt werden können.

Derweil hilft Betroffenen, dass nun ein neurologischer Beleg für „weibliche“ und „männliche“ Form bei schwerer Depression gefunden wurden. Es sind nicht äussere Umstände, die als Sekundäreffekt die Depression modulieren. Die geschlechtertypischen Unterschiede sind offensichtlich bereits im Jugendalter festgelegt, werden aber womöglich erst bei erwachsenen Patienten augenfällig.

Quellen:

Chuang, J.-Y. et al. (2017): Adolescent Major Depressive Disorder: Neuroimaging Evidence of Sex Difference during an Affective Go/No-Go Task. Frontiers in Psychiatry, online veröffentlicht 31.07.2017. doi: 10.3389/fpsyt.2017.00119

Erstellt am 2. August 2017
Zuletzt aktualisiert am 2. August 2017

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