Wetter

Herbststurm im Frühsommer

von Holger Westermann

Das für Anfang Juni sehr ungewöhnliche Sturmtief „Ingraban“ zieht von den Britischen Inseln über die Nordsee hinweg Richtung Norwegen. Die Tiefausläufer streifen über Mitteleuropa hinweg und zerzausen mit einem orkanartig aufbrausenden Sturm aus Südwest die frisch ergrünte Vegetation.

„Ingraban“ klingt fremdländisch, ist aber ein Akronym (hier ein Silbenkurzwort) urgermanischer Begriffe: „Ing“ leitet sich von der germanischen Stammesgottheit „Ingwio“ ab und „Raban“ steht für den Raben, was in der germanischen Mythologie den Schlauen oder Scharfsichtigen symbolisiert. Zusammengesetzt bedeutet der Name „der schlaue Ingwio“, der bedeutendsten Gottheit der Ingaevonen zu denen die Angeln, Chauken, Friesen, Sachsen, Warnen, Jüten, Kimbern und Teutonen zählen. Insofern passt die lokale Zuschreibung ganz gut zur Zugbahn des Tiefs.

Die Kaltfront mit kühler feuchter Luft überquert Deutschland von West nach Ost, dabei schob sie die feuchtwarme Luft beiseite und hob sie an. Entlang dieser Konfrontationslinie der Luftmassen entwickelten sich in einem Streifen von Niedersachsen über Thüringen bis nach Bayern einzelne starke Gewitter mit Sturmböen, Starkregen und kleinerem Hagel. Ein zweiter Unwetterschwerpunkt war die Ostseeküste, zwischen der Uckermark und Rügen.

Hinter der Front strömt mit hoher Geschwindigkeit kühlere Meeresluft heran. Doch die kühle Luft fährt Achterbahn, den Gutteil ihrer Beschleunigung bekommt sie durch eine rasante Abwärtsbewegung. Sehr schnelle Höhenwinde geben ihre Energie an die darunterliegende Strömung ab. Meteorologen sprechen von einem vertikalen Impulstransport, der selbst harmlos anmutende Schauer oder Gewitterzellen mit Sturmböen oder schweren Sturmböen garniert.

Da „Ingraban“ nur sehr langsam ostwärts zieht, quasi über der Nordsee verharrt, muss anhaltend mit Sturmböen und einzelnen schweren Sturmböen gerechnet werden. Ein erhöhtes Risiko für kräftige Schauer- und Gewitterentwicklungen besteht vor allem von der Mitte bis zur Donau sowie im Osten Deutschlands. Auch in Österreich wird der Wind lebhaft, aber bei weitem nicht so stürmisch.

Hinter der Kaltfront fließt deutlich kühlere Meeresluft nach Mitteleuropa. Durch den Wind und häufige Schauer fällt die gefühlte Temperatur noch deutlich unter den Thermometerwert. Im Nordwesten und Osten ist die Dynamik und der Abkühlungseffekt noch am Größten, gegen Süden wärmt der inzwischen schon frühsommerlich aufgeheizte Boden die darüberstreichende Luft schon wieder an. Steht man nicht direkt im kalten Wind, bleibt es dort vergleichsweise mild. Der hochdynamische Wechsel bleibt die Konstante der kurzfristigen Wetterentwicklung: Zwischenhocheinfluss und Kaltfrontdurchzug fügen sich zu einem unsteten Reigen. Wetterempfindliche Menschen erleben erfrischende oder schmerzhaft-krampffördernde Episoden. Leiden Menschen unter Schlafstörungen empfinden sie kühle Nächte angenehmer als Schwüle, doch stürmische Unruhe verschlechtert die Schlafqualität wieder. Menschen deren Muskulatur verkrampft oder deren Gelenke schmerzen, beklagen jeden Vorstoß des feuchtkalte Wetters.

Landwirte beklagen den wütenden Galopp von „Ingraban“ über ihre Felder. Starkregenschauer und Sturmböen treffen das Getreide zum denkbar ungünstigen Moment der Vegetationsperiode. Gegen Ende der Wachstumsphase ist der Stengel noch grün und fragil (instabil, zerbrechlich). In wenigen Wochen wird er trocken und robust sein. Doch nun wird das Getreide großflächig zu Boden gedrückt, es droht der Totalverlust der Ernte. einerseits können Mähdrescher die niederliegenden Halme kaum aufgreifen, andererseits trocknen die Ähren mit Bodenkontakt schlecht ab und drohen auszukeimen. Dann ist das Getreide wertlos.

Quellen:

Dipl.-Met. Robert Hausen: Zur Abwechslung mal ein kleines Stürmchen! Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 06.06.2017

Mag.rer.nat. Florian Bilgeri: Die zwei Seiten von INGRABAN. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 07.06.2017

Erstellt am 7. Juni 2017
Zuletzt aktualisiert am 7. Juni 2017

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