Wetter

Walrita stresst den Klima-Michel

von Holger Westermann

Wiese

Das Hochdruckgebiet „Walrita“ über der Nordsee dehnt seinen Einflussbereich kräftig aus und erwärmt die Luft in Mitteleuropa auf 30°C. Auch wenn es heuer (in diesem Jahr) schon vielmals ungewöhnlich war, dies ist die erste echte Hitzeperiode 2017. Der Modell-Hypochonder des Deutschen Wetterdienstes (DWD) signalisiert vielfältige Gesundheitsbelastungen: Klima-Michel steht unter Hitzestress.

„Walrita“ blockiert die Zugbahn von Atlantiktiefs über Mitteleuropa hinweg, der Himmel bleibt wolkenlos und die Atmosphäre hierzulande von Tiefausläufern oder Kaltlufteinbrüchen ungestört. Doch auch Hochdruckgebiete wandern, wenn auch mit geringerer Dynamik als Tiefs. So driftet „Walrita“ langsam ostwärts. Die Luftströmung dreht sich im Uhrzeigersinn um das Zentrum, so dass eine Ostverlagerung die Temperatur sogar noch ansteigen lässt: Mit Südwind strömt heiße Saharaluft heran; der Thermometerwert kann bis auf 30°C steigen.

Je weiter „Walrita“ ostwärts ausweicht, um so wahrscheinlicher gelingt es Atlantiktiefs aus Westen nachzurücken. Damit strömt kühlere vor allem aber feuchte Luft heran und trifft auf die heiße Saharaluft. Es bilden sich Gewitterwolken und einsetzende Schwüle lässt die gefühlte Temperatur empor schnellen, obwohl der Thermometerwert sinkt. Dieses Paradox ergibt sich aus der natürlichen Thermoregulation, denn Menschen können keine absolute Temperatur fühlen. Als Warmblüter, die ihre Körperkerntemperatur konstant auf 36,5°C halten wollen, sind sie daran auch nicht interessiert. Viel relevanter als die Aussentemperatur ist der aktuelle Wärmeverlust - und genau das messen die Wärmerezeptoren in der Haut.

Wenn Menschen „warm“ ist oder „kalt“, reagiert der Körper auf eine zu niedrige Wärmeabgabe, sodass Überhitzung droht (zu warm) oder auf einen zu hohen Wärmeverlust, der Auskühlung bedeuten würde (zu kalt). Dabei ist die Lufttemperatur zwar ein wichtiger, aber nicht der allein wirksame Faktor. Weitere Effektoren sind:

  • Infrarote Sonnenstrahlung (IR-Strahlung) wärmt über die Lufttemperatur hinaus; im Schatten ist es kühler als im Sonnenschein - dunkle Kleidung, die Strahlung absorbiert, verstärkt den Effekt.
  • Reflexionsstrahlung von hellen Hauswänden wirkt wie abgemilderte Sonnenstrahlung.
  • Die Luftgeschwindigkeit (Wind) beeinflusst die Verweildauer der körpernah erwärmten Luftschicht. Kleidung hält diese Luftschicht am Körper fest; dünne Kleidung nur flüchtig, dicke mehrschichtige Kleidung dagegen dauerhaft.
  • Bei einer Temperatur unterhalb von 17°C steigt mit dem Wasserdampfgehalt (relative Luftfeuchte) die Wärmeleitfähigkeit der Luft. Nasskaltes Wetter lässt zuverlässiger frösteln als trockene Kälte. Die Haare der Haut stellen sich auf (Gänsehaut), um die körpernahe Luftschicht fest zu halten. Bei der spärlichen Behaarung von Menschen ein wenig wirksamer Effekt.
  • Schwüle (hohe Luftfeuchte bei mehr als 17°C) reduziert dagegen die Ableitung von Körperwärme. Ist die Luft bereits weitgehend mit Wasserdampf gesättigt, kann die Kühlung durch Verdunstung von Wasser auf der Haut nicht mehr funktionieren. Der Schweiss rinnt wirkungslos den Körper hinunter.

Um das Zusammenwirken dieser Effekte zu beschreiben und letztendlich als „gefühlte Temperatur“ dem Thermometerwert als äquivalente Temperatur gegenüber zu stellen, hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) das Klima-Michel-Modell entwickelt. Dabei gehen die Meteorologen davon aus, dass „Michel“ sich dem Wetter angemessen kleidet; im Sommer luftig leicht, im Winter voluminös und warmhaltend. Ansonsten ist „Michel“ eine 35-jährige männliche Durchschnittsperson mit einer Körpergröße von 1,75 Metern, einem Körpergewicht von 75 Kilogramm, und einer Körperoberfläche von 1,9 Quadratmetern. Als Ruhe-Arbeitsleistung wird 172,5 Watt, entsprechend 135 Watt pro Quadratmeter Hautoberfläche angenommen. Dies entspricht dem Zustand „Gehen“ mit etwa 4 km/h in der Ebene. Der Klima-Michel muss sich nicht übermäßig anstrengen.

Neben der „gefühlten Temperatur“ wirken weitere Wetterparameter auf das Wohlbefinden und die Gesundheit:

  • Sonnenschein taktet den Tag-Nacht-Rhythmus und verbessert durch Hormonstimulation die mentale und emotionale Gesundheit.
  • Ultraviolette Sonnenstrahlung (UV-Strahlung) bewirkt Hautbräunung und Vitamin-D3-Synthese, schädigt aber auch durch Sonnenbrand und Vernarbungen (ledrig-alte Haut).
  • Bei lang anhaltenden Sonnenschein, Hitze und Trockenheit reichern sich in bodennahen Luftschichten hohe Konzentrationen von Ozon, Grob- und Feinstaub an; je nach Jahreszeit auch Pollen.

All diese Faktoren (und noch ein paar Langzeiteffekte zusätzlich) berücksichtigt die medizinmeteorologischen Vorhersage auf Menschenswetter (in Kooperation mit dem DWD und der ZAMG, Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien, Österreich). So werden während der angekündigten Hitzeperiode für viele Vorhersageerkrankungen ernsthafte Warnungen ausgesprochen. Der rasante Anstieg der Tagesmaxima in der gesundheitsrelevanten gefühlten Temperatur von rund 20°C auf bis zu 37°C innerhalb von drei bis vier Tagen ist selbst für gesunde Menschen eine enorme Belastung. Für wetterempfindliche Menschen, die aufgrund einer chronischen Erkrankung besonders sensibel reagieren, kann es ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko bedeuten.

Quellen:

Dipl.-Met. Lars Kirchhübel: Die erste Hitzeperiode des Jahres kommt und der Körper leidet! Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 26.05.2017

Erstellt am 26. Mai 2017
Zuletzt aktualisiert am 26. Mai 2017

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