Thai Chi statt warten auf die Psychotherapie

Schattenboxen verscheucht Schlafstörungen

von Holger Westermann

In China ist Thai Chi Volkssport mit mehreren Millionen Aktiven. Auch in Mitteleuropa erfreut sich die Kombination aus Meditation, Entspannungstechnik, Achtsamkeitsübung, Gymnastik und Slow-Motion-Kampfsport wachsender Popularität. Jetzt bewährte sich Tai Chi auch zur Linderung von therapiebedingten Schlafstörungen bei Brustkrebspatientinnen.

Therapiebedingte Schlafstörungen sind abseits der Akutversorgung (mit Schmerzen, Erbrechen oder Immobilität und Faktoren wie Monitorüberwachung, Sonden und Drainagen ) häufig Begleiterscheinung der Arzneimittel-Einnahme. Brustkrebs-Patientinnen werden oft mit einer vorsorglich begleitenden (adjuvanten) Chemotherapie behandelt, um die langfristigen Heilungsaussichten zu verbessern. Auch dabei treten Schlafstörungen als Nebenwirkung auf.

Als milde Gegenmaßnahme empfiehlt die American Academy of Sleep Medicine eine kognitive Verhaltenstherapie. Ziel dieser psychologischen Intervention ist es negative Gedanken und Verhaltensweisen zu identifizieren und so zu verändern, dass sie die Patientinnen nicht mehr am Einschlafen und Wiedereinschlafen hindern. Denn oftmals quält nicht mangelnde Müdigkeit beim Zubettgehen, sondern das Wachliegen sobald man einmal aufgewacht ist. Die meisten Menschen erwachen mehrmals während der Nachruhe, schlafen aber sofort wieder ein und erinnern sich am nächsten Morgen nicht mehr an diese Episoden. Wer unter Schlafstörungen leidet bleibt dann aber wach liegen, nach viel zu wenig Schlaf, um ausreichend ausgeruht zu sein. Die kognitive Verhaltenstherapie vertreibt das Grübeln, senkt das allgemeine Stressniveau und ermöglicht das rasche Wiedereinschlafen.

Eine Studie amerikanischer Wissenschaftler attestiert nun dem Tai Chi (Schattenboxen) einen vergleichbar positiven Effekt auf die Schlafqualität. Geprüft wurde eine vereinfachte Form des Tai Chi. Diese „westliche“ Variante bestand aus 20 leicht erlernbaren Bewegungen, mit geringem gymnastischen Anspruch. Bestimmt wurde die Schlafqualität anhand des Pittsburgh Schlafqualitätsindex (PSQI). Er ist vor allem für Patienten mit Ein- und Durchschlafstörungen gedacht. Der Gesamtwert des PSQI kann zwischen 0 und 21 Punkten betragen. Bei gesunden Schläfern findet man in aller Regel einen Gesamtwert von nicht mehr als 5 Punkten. Schlechte Schläfer weisen zumeist Werte zwischen 6-10 Punkten auf. Bei chronischen Schlafstörungen findet man zumeist deutlich mehr als 10 Punkte. Anhand des PSQI lässt sich die Veränderung der Schlafqualität auch quantitativ beschreiben, wenn das Ausgangsniveau von Patient zu Patient unterschiedlich war.

Untersucht wurden 90 Brustkrebspatientinnen, die über Schlafstörungen klagten. Die Hälfte erhielt eine bewährte kognitive Verhaltenstherapie, die anderen begannen ein Tai Chi Training. Ein Jahr nach Abschluss der Maßnahme wurden die Patientinnen nochmals eingehend zur Schlafqualität befragt und auf Störungen der Schlafqualität untersucht.

Beide Gruppe verspürten eine Verbesserung der Schlafqualität, wobei die Tai Chi Gruppe mit 46,7% im PSQI einen größeren Fortschritt verzeichnete als die klassisch therapiert Gruppe mit 43,7%. Die Forscher betonen jedoch, dass beide Effekt eine „robuste“ Linderung der Beschwerden markieren.

Überraschenderweise ließ sich der positive Effekt im Schlaflabor nicht abbilden. Die Messwerte der Polysomnographie spiegelten das subjektiv empfundene Schwinden der Schafstörung nicht wider. Die Forscher führen das darauf zurück, dass sowohl die Verhaltenstherapie als auch das erlernte und regelmäßig praktizierte Tai Chi für die Patientinnen als Startpunkt des „Neuen Lebens“ nach überstandener Brustkrebserkrankung wahrgenommen wurde. Dieses sichtbare Signal des Neubeginns verbessert die Lebensqualität, dadurch fühlt man sich weniger müde und vermutet erholsamen Schlaf. Da die Plätze für eine kognitive Verhaltenstherapie den Bedarf bei weitem nicht decken können, empfehlen die Forscher mit interessierten Patientinnen die auf Tai Chi Kurse auszuweichen. Das Angebot ist erheblich größer, wird vielerorts angeboten, nutzt den positiven Effekt des Gruppentrainings und ist erheblich preiswerter als eine Psychotherapie.

Quellen:

Irwin, M.R. et al. (2017): Tai Chi Chih Compared With Cognitive Behavioral Therapy for the Treatment of Insomnia in Survivors of Breast Cancer: A Randomized, Partially Blinded, Noninferiority Trial. Journal of Clinical Oncology, online veröffentlicht 10.05. 2017. doi: 10.1200/JCO.2016.71.0285.

Erstellt am 18. Mai 2017
Zuletzt aktualisiert am 22. Mai 2017

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