Patienten-Typus mit besonders hohem Risiko für eine Chronifizierung von Schmerzen

Dauerschmerz verhindern

von Holger Westermann

Andauernder oder in kurzen Abständen stetig wiederkehrender Schmerz ist weit verbreitet. Rund 6 Millionen Menschen in Deutschland leiden darunter, fast 8% der Bevölkerung. Chronischer Schmerz unterscheidet sich qualitativ von akuten Schmerzen, die mit der auslösenden Ursache verschwinden: Er bleibt bestehen. Deshalb fokussieren Ärzte darauf  Chronifizierung durch effektives Schmerzmanagement zu verhindern. Das gelingt bei manchen Patienten-Typen besser als bei andern.

Die Deutsche Schmerzgesellschaft (DSG) kalkuliert, dass sich in den zurückliegenden zehn Jahren deutschlandweit die Zahl der Menschen mit chronischem Schmerz nahezu verdoppelt hat. Gründe dafür gibt viele, negative wie positive. So ist beispielsweise der Anstieg bei chronischen Rückenschmerzen eng mit Büroarbeit und Bewegungsmangel sowie Übergewicht verbunden. Andererseits führen die medizinischen Erfolge bei der Krebstherapie oder nach schweren Verletzungen dazu, dass immer mehr Patienten trotzdem noch lange leben, oftmals aber mit Schmerzen.

Prof. Dr. med. Esther Pogatzki-Zahn von der Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie am Universitätsklinikum Münster (Nordrhein-Westfalen, Deutschland) quantifiziert das Therapie-Problem an einem Beispiel: „Bei nur zehn Prozent der Patienten mit Rückschmerzen können wir eine klare körperliche Ursache als Auslöser feststellen“. Bei Kopf- und Gelenkschmerzen und auch bei Schmerzen nach Operationen sei das Problem ähnlich gelagert. Stets beginne die Schmerzkarriere mit einem akuten Auslöser, doch „das Problem ist, dass manche Patienten den Schmerz anfangs als begleitendes Übel akzeptieren und dieser dann unzureichend therapiert wird. Bereits das kann die Chronifizierung auslösen“. Oftmals würden erste Anzeichen für eine Verstetigung des Schmerzempfindens von Patienten und Ärzten gleichermaßen übersehen oder bagatellisiert. Frau Prof. Pogatzki-Zahn fordert daher : „Risikopatienten für eine Chronifizierung müssen frühzeitig bei Auftreten bestimmter Risikofaktoren, sogenannten ‚Yellow flags‘ (Gelbe Warnflaggen) ‚herausgefischt‘ werden. Bei Patienten mit Rückenschmerzen gehören dazu beispielsweise psychische Faktoren wie Depressivität oder berufliche Faktoren wie körperliche Schwerarbeit oder Verlust des Arbeitsplatzes“. Nur so könne eine erfolgreiche Therapie, mit der eine Schmerz-Chronifizierung nachhaltig unterbunden wird, gelingen.

Um Risikogruppen unter den Patienten zu identifizieren wurden 450.000 Datensätze von OP-Patienten ausgewertet. Die Schmerzforscher suchten nach Persönlichkeitsmerkmalen, bei denen mit größerer Wahrscheinlichkeit ein Chronifizierung auftritt - und solche für vergleichsweise robuste Naturen. Wenig erstaunlich war das Ergebnis, dass die Schmerzintensität während der Akutphase als wichtiger Faktor wirksam wurde. Starke Schmerzen provozieren eher eine Chronifizierung als moderate. Als relevanter Faktor gilt dabei die Effizienz der Schmerztherapie. Gelingt während und unmittelbar nach der Operation eine wirksame Schmerzbehandlung ist das die beste Vorbeugung, die Verstetigung zu verhindern.

Als typische Persönlichkeitsmerkmale des sensiblen Typs erwiesen sich: jung, weiblich, mit Hang zur Katastrophisierung. Kennzeichen ist eine, gerade mit auf die Entwicklung der Erkrankung und der Schmerzen, pessimistische Einstellung: Bei mir geht es doch wieder schief; wenn es Nebenwirkungen oder Komplikationen gibt, dann sicherlich bei mir. Verstärkt wird der Effekt durch intensive Schmerzerfahrung, wenn bereits hochwirksame Medikamente wie Opioide eingesetzt wurden. Frau Prof. Pogatzki-Zahn ergänzt: „Gerade Patienten mit chronischen Schmerzen zeigen häufig eine psychologisch-psychiatrische Komorbidität (Begleiterkankungen) einschließlich typischer maladaptiver (schädliche Anpassung) Formen der Schmerzverstärkung.“

Auf der anderen Seite zeigten sich Patienten mit einer optimistischen Lebenseinstellung, eingebettet in stabile Familienverhältnisse und ein belastbares soziales Umfeld, ohne Existenzsorgen nach einer effizienten Akuttherapie als besonders robust gegenüber eine Chronifizierung ihrer Schmerzen. Hier setzt die multimodale Schmerztherapie an. Eine optimale Medikamenten-Therapie sollte heutzutage selbstverständlich sein. Doch dabei darf man es nicht bewenden lassen. Physiotherapie und Entspannungstechniken unterstützen effektiv; auch psychologische Betreuung und Schulungen sind wirksam, indem sie das Selbstbewusstsein verbessern, als Selbstwertgefühl und als achtsame Selbstbetrachtung.

Frau Prof. Pogatzki-Zahn kritisiert die Umstellung der Schmerztherapie: „Direkt nach dem Eingriff unter der systemischen Therapie geht es den Patienten gut – dann kommt die Umstellung, sie gehen in die Reha und die Probleme fangen an.“ Oft sei die Kommunikation zwischen Klinik-, Haus- und Fachärzten sowie anderer Disziplinen (etwa Physiotherapeuten und Psychologen) nicht optimal. Eine Verbesserung erhoffe man sich vom Projekt „Qualitätsverbesserung in der postoperativen Schmerztherapie (QUIPS): „Die beteiligten Krankenhäuser erfassen kontinuierlich Daten der Patienten zur Schmerzeinschätzung und -intensität sowie einige zusätzliche Parameter. So können sie sich in der Qualität der Schmerzversorgung mit anderen Häusern vergleichen – und sehen, wo sie stehen“, erläuterte Schäfer. Derzeit beteiligten sich aber nur etwa 10% der Krankenhäuser in Deutschland an diesem Projekt.

Eine Auswertung der QUIPS-Daten, des weltweit größten Akutschmerzregisters, aus den Jahren 2011–2014 berücksichtigte aus der Gesamtheit von 167.598 Patienten-Datensätze eine Teilgruppe von 21.114 Datensätze aus 138 Krankenhäusern die ausgewählten Operationen betrafen. Dabei ergaben sich erhebliche Unterschiede zwischen den Kliniken in Hinblick auf die Schmerzintensität, die schmerzbedingten Funktionseinschränkungen und die Zufriedenheit der Patienten insgesamt. So beurteilten die Patienten aus den „schlechtesten“ Krankenhäuser ihre Schmerzen auf einer 11-stufigen Skala (11 = Maximaler Wert nach der OP) mit durchschnittlich 6,3 und die der „besten“ mit 3,6. Auch die Qualität der Klinik, der erfahrenen Therapie und sonstigen Behandlung sowie die Umstellung auf ambulante Maßnahmen haben großen Einfluss auf das Chronifizierungsrisiko.

Erstaunlich war dabei, dass Kliniken der Grund- und Regelversorgung bessere Ergebnisse erreichten als hochspezialisierte Schwerpunkt- und Universitätskliniken. Möglicherweise konzentrieren sich die Experten zu sehr auf medizinisch-wissenschaftliche Aspekte und vernachlässigen dabei die Patientenzufriedenheit. Universitätskliniken sind zumeist Großkrankenhäuser mit viel Personal. Dann stehen immer andere Gesichter am Krankenbett, die Informationsgespräche werden von mehreren Ärzten geführt, viele Ärzte und Pfleger sind noch in Ausbildung und können nicht auf Erfahrung und Routine zurückgreifen. Oft bevorzugen Patienten eine bessere Lebensqualität, insbesondere Schmerzreduktion und sind dafür bereit geringere Heilungschancen in Kauf zu nehmen. An Universitätskliniken wird diesem Ansinnen mit geringerer Wahrscheinlichkeit entsprochen als an Krankenhäusern der regionalen Grundversorgung.

Möglicherweise ist aber genau diese empathische Medizin ein erfolgversprechender Ansatz die Chonifizieurng von Schmerz zu verhindern.

Quellen:

Gerbershagen, H.J. et al. (2014): Procedure-specific risk factor analysis for the development of severe postoperative pain. Anesthesiology 120: 1237 – 1245. doi:10.1097/ALN.0000000000000108

Chronische Schmerzen durch frühe Therapie verhindern - Schmerzexperten fordern enge Kommunikation zwischen Klinik, Haus- und Fachärzten. Pressemitteilung der Deutschen Schmerzgesellschaft und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft anlässlich des Deutschen Schmerzkongress 2016 in Mannheim.

Meißner, W. et al. (2017): Qualität postoperativer Schmerztherapie in deutschen Krankenhäusern. Deutsches Ärzteblatt 114 (10): 161 - 167. DOI: 10.3238/arztebl.2017.0161.

Erstellt am 13. März 2017
Zuletzt aktualisiert am 13. März 2017

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