Männer bleiben eher cool, Frauen reagieren sozial emotional

Geschlechtertypische Reaktion auf Stress

von Holger Westermann

Unter Stress agieren Männer anders als Frauen; sie werden aggressiv und nicht hysterisch. So weit das oft bemühte Klischee eines eindeutigen geschlechtsspezifischen Unterschieds. Nachweisen lässt sich bestenfalls eine geschlechtertypische Wahrscheinlichkeit für bestimmtes Verhalten. Die biologisch-medizinische Grundlage dafür wurde nun untersucht: Männer und Frauen reagieren tatsächlich sehr unterschiedlich auf Stress.

Menschen unter Stress, insbesondere Dauerstress, zeigen deutliche Reaktionen: Entzündungsaktivität im Körper steigt, es werden vermehrt weiße Blutkörperchen (Leukozyten) gebildet, das Risiko für Arteriosklerose und Angina pectoris Anfälle nimmt zu infolgedessen auch das Infraktrisiko, Heißhunger oder Appetitlosigkeit treten auf, Konzentrationsprobleme und Gereiztheit gegenüber Mitmenschen erreichen ein kritisches Niveau. En Leben ganz ohne Stress ist erbärmlich langweilig, aber zu viel oder zu lang anhaltender Stress beschädigt die Gesundheit. Dabei zeigen Männer und Frauen deutliche Unterschiede in der körperlichen Reaktion auf Stress-Stimulation.

Forscher der Eberhard Karls Universität in Tübingen (Baden-Württemberg, Deutschland) untersuchten experimentell die physiologischen und emotionalen Stress-Reaktionen bei Männern und Frauen. Dazu mussten 81 Versuchsteilnehmer (davon 42 Frauen) zunächst unter Zeitdruck Rechenaufgaben lösen. Für alle Teilnehmer eine knifflige Aufgabe, die Stress provozierte. Anschließend sollten sie sich am Computerbildschirm an einem einfachen Ballspiel beteiligen, erfuhren dabei jedoch permanente Ausgrenzung - sie durften kaum mitspielen und litten infolgedessen unter sozialem Stress.

Für Frauen und Männer waren die Aufgaben subjektiv gleichermaßen stressig, doch die körperlichen Reaktionen auf diesen Stress waren messbar unterschiedlich. Bei Männern stieg die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Blut deutlich an, bei Frauen nicht. Besonders bemerkenswert war auch die geschlechterdifferente Reaktion der Geschlechtshormone. Bei Männern stieg der Testosteronspiegel, bei Frauen der des Progesterons. Während Testosteron mit aggressivem Verhalten assoziiert wird, gilt Progesteron als Botenstoff für soziales Bindungsverhalten. Die Forscher interpretieren dies als Folge unterschiedlicher Strategien zur Stressbewältigung. Männer suchen die Konfrontation, Frauen dagegen den Schutz der Gruppe: "Der (Progesteron) Anstieg könnte die Verunsicherung bei Frauen ausdrücken“.

Weiter Tests zeigten, dass Männer trotzdem ihre Emotionen unter Stress wirkungsvoller kontrollieren (bewusste reduzieren) konnten als Frauen. Bei weiblichen Versuchsteilnehmern stieg das subjektive Stressempfinden, wenn man sie ermutigte negative Stimmungen zu unterdrücken. Auch die objektiv gemessenen Aktivitätsmuster im Gehirn zeigten ein höheres Stressniveau an. Für die Forscher war das eine Überraschung: „Entgegen unserer Erwartung sind die Frauen mit der Aufgabe, Emotionen zu kontrollieren, nicht so gut zurechtgekommen“.

Eine Schlüssel zu höherer Stressunempfindlichkeit (Resilienz) und besseren Stressbewältigung ist sicherlich das Selbstwertgefühl. Dieser Parameter wurde bei den Versuchsteilnehmern durch einen standardisierten Fragebogen ermittelt. Es zeigte sich, dass unabhängig vom Geschlecht, die Stressverträglichkeit bei Menschen mit höherem Selbstwertgefühl größer war. Jedoch zeigten wenig selbstbewusste Frauen eine besonders hohe Aktivität in kognitiven Kontrollzentren des Gehirns; sie wollten die Aufgaben unbedingt richtig lösen, auf keinen Fall etwas falsch machen.

Die Untersuchungen zeigen deutlich, dass Frauen und Männer sehr unterschiedlich auf Stress reagieren und zwar auf sozialer, emotionaler, kognitiver und körperlicher Ebene. In ihrem Fazit weisen die Forscher darauf hin, dass Stress nicht zwingend negativ sein muss: „Solange er nicht chronisch wird, kann er etwas sehr Positives und Motivierendes sein.“ Auch das gilt sicherlich für Frauen und Männer gleichermaßen.

Quellen:

Kogler, L. et al. (2017): Sex differences in the functional connectivity of the amygdalae in association with cortisol. NeuroImage 134: 410 - 423. doi: 10.1016/j.neuroimage.2016.03.064

Westermann, H. (2017): Gesundheitsrisiko Dauerstress. Menschenswetter Artikel 1467, online veröffentlicht am 10.03. 2017.

Erstellt am 11. März 2017
Zuletzt aktualisiert am 11. März 2017

Unterstützen Sie Menschenswetter!

Die Höhe des Beitrags liegt in Ihrem Ermessen.

Weitere Informationen...

 3 Euro    5 Euro    12 Euro  
 Betrag selbst festlegen  

Gesundheitsrisiko Temperatursturz im April

Nach einer rekordverdächtigen Warmwetterphase von Februar bis Mitte April, ist jetzt das kühle wechselhafte April-Wetter mit Wind, Regen und vereinzelt auch Schneefall zurück. Der Temperatursturz um 15 bis 20°C ist an sich schon ein Gesundheitsrisiko, doch die physiologische und psychologischen Herausforderungen sind diesmal besonders drastisch. weiterlesen...


Admarker

Der digital Asthma-Helfer für die Tasche

Breazy Health


Schon wenig Rotwein kann massive Kopfschmerzen auslösen

Reichlich Rotwein am Abend kann morgens Kopfschmerz provozieren. Manchen Menschen leiden jedoch schon nach einem kleinen Glas oder gar einem Probierschluck Rotwein und rasch anflutenden Kopfschmerzen - nicht erst nach Stunden im alkoholvertieftem Komaschlaf, sondern unmittelbar anschließend bei hellwachem Bewusstsein. weiterlesen...


Impfsaison 2023/2024 für Menschen mit Atemwegserkrankungen

Robert-Koch-Institut (RKI) und Ständige Impfkommission (STIKO) empfehlen Menschen mit Asthma und COPD frühzeitige Impfung gegen Grippe (Influenza) und neue Corona-Varianten sowie eine Überprüfung des Pneumokokken-Schutzes zur Vorbeugung einer Lungenentzündung. Gerade in der jetzt beginnenden kalten Jahreszeit steigt neben Infektionen der oberen und unteren Atemwege auch das Risiko für spürbare Verschlechterung der Symptomatik von vorbestehenden Lungenerkrankungen. weiterlesen...


Künstliche Intelligenz (KI) unterstützt Ärzte bei der Diagnose

Das Konzept der KI (im Englischen treffender als Artificial Intelligence bezeichnet) ist in der aktuell populären Version auf die Komposition von Texten optimiert. In der medizinische Diagnostik werden andere Qualitäten gefordert. Doch schon heute liefern solche Anwendungen erstaunlich kompetente Unterstützung. weiterlesen...


Wetterwechsel provoziert Migräneattacken

Befragt man Menschen, die unter Migräne leiden, werden zuverlässig bestimmte Wetterlagen oder  eine besonders dynamische Veränderung des Wetters als Auslöser von Schmerzattacken genannt. Deshalb wurde dieser besondere Umwelt-Trigger schon vielfach untersucht. Neue Studien zeigen, dass es nicht die Wetterlage ist, die Schmerzattacken auslöst. weiterlesen...