Gadets und Wearables sind ungeeignet, die Schlafqualität zu bestimmen

Selbstkontrolle kann auch schaden

von Holger Westermann

Schlaf-Protokolle mit Smartphone, Sensor-Uhren oder speziellen Armbändern zu erstellen gilt als modern und verspricht langfristig eine verbesserte Schlafqualität. Doch offensichtlich ist genau das Gegenteil der Fall. Die explizite Dokumentation einer ungenügenden Schlafdauer oder eines ungewöhnlichen Schlafverlaufs erzeugt Stress, der die Schlafqualität ruiniert.

Zudem sind viele Messwerte der Gesundheits-Gadets (englisch „Apparat“ „technische Spielerei“ „Schnickschnack“) oder Wearables (am Körper tragbare Geräte) schlicht fehlerhaft; davor warnt eine Studie von Forschern des Rush University Medical Center in Chicago (Illinois, USA). So interpretieren viele Geräte die Ruhephase vor dem zu Bett gehen bereits als Teil des Schlafs, obwohl gerade noch zur Entspannung ein Buch gelesen wird. Bei der Datenauswertung erscheint die Einschlafphase dann ungewöhnlich lang.

„Es ist großartig, dass so viele Leute ihren Schlaf verbessern wollen. Doch die Geräte messen nicht valide, was sie als Interpretation anzeigen.“ erläutert Frau Kelly Glazer Baron, Psychologe und Autor der Studie. „Sie sind nicht in der Lage, zwischen leichtem und tiefem Schlaf zu unterscheiden. (…) Daher machen sie keinen guten Job, wenn sie den Schlaf bewerten.“ Orientieren sich die Menschen an diesen vermeintlichen Messwerten, sind Fehlinterpretationen unvermeidbar.

Es ist ohnehin fragwürdig, sich an durchschnittlicher Schlafdauer oder einem „idealen“ Schlafverlauf zu orientieren, um die Schlafqualität zu bemessen. Schlafbedürfnis und Schlafphasenabfolge sind individuell; allgemeine Zielwerte helfen nur wenig. Wer versucht den Schlaf in die datengesteuerte Selbstoptimierung zu integrieren wird nach Auffassung der Forscher zuverlässig scheitern: „Manche Menschen übertreiben es damit und setzten sich unter Stress.“ Damit verschlechtert sich die Schlafqualität garantiert.

In Alegorie zur „Obsession“ (Zwangsvorstellung) wählten die Forscher daher den Begriff „Orthosomnie“, was direkt übersetzt lediglich „guter Schlaf“ bedeutet. Jedoch schwingt dabei der zwanghafte Drang zum „Perfektionismus den perfekten Schlaf zu erreichen“ mit, „ähnlich der ungesunden Beschäftigung mit gesundem Essen, der als Orthorexie bezeichnet wird."

Es ist nicht sinnvoll sich auf Daten zu stützen, zumal auf potentiell fehlerhafte Daten, um die individuelle Schlafqualität zu beurteilen oder gar Schlafstörungen zu diagnostizieren. Dazu wird im Schlaflabor mit der Polysomnographie, die Hirnwellen, Herz und andere Indikatoren während des Schlafes misst, ein apparativ wie analytisch sehr großer Aufwand betrieben. Nur so ist eine zuverlässige Aussage über die persönliche Schlafqualität möglich - Gadets und Wearables wirken bestenfalls als zusätzliche Stressquelle.

Quellen:

Baron K.G. et al. (2017): Orthosomnia: Are Some Patients Taking the Quantified Self Too Far? Journal of Clinical Sleep Medicine 13 (2): 351-354. doi: 10.5664/jcsm.6472.

Erstellt am 6. März 2017
Zuletzt aktualisiert am 6. März 2017

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