Süße Kindheit verhindert Übergewicht im Erwachsenenalter

Naschen hält schlank

von Holger Westermann

Verantwortungsvolle Eltern rationieren Schokolade und anderes Naschwerk, denn kleinen Naschkatzen droht im Alter Adipositas. Doch so plausibel dieses Erziehungsziel auch ist, offensichtlich beruht es auf einem Trugschluss: Offensichtlich reduziert der Genuss von Süßigkeiten in der Jugend das Risiko für späteres Übergewicht.

Eine Forschergruppe der Universität Melbourne (Victoria, Australien) analysierte elf wissenschaftliche Studien (veröffentlicht zwischen 1990 und 2015) mit insgesamt 177.260 Teilnehmern, inwiefern sich der Zugang zu Süßigkeiten und deren Verzehr im Kinderalter auf das Körpergewicht als Erwachsene auswirkten. Kinder und Jugendliche, die am häufigsten naschten hatten ein um 18% reduziertes Risiko später markantes Übergewicht oder gar Adipositas zu entwickeln. In der mittleren Gruppe, die zumindest einmal pro Woche häufiger Süßigkeiten konsumierten als die Vergleichsgruppe mit geringem Konsum, betrug die Risikoreduktion noch 13%.

Das Ergebnis erstaunte die Forscher, hatten sie doch den gegenteiligen Effekt erwartet. Womöglich sind die Kinder mit wenig Erfahrung im Naschen später, wenn sie als Erwachsene sich der elterlichen Kontrolle entziehen können, eher anfällig für exzessive Selbstbelohnung durch Süßigkeiten. Oder der Naschwerkkonsum im Kindesalter hat überhaupt keinen Einfluss auf die spätere Entwicklung des Körpergewichts - die beiden biographischen Ereignisse sind voneinander unabhängig.

Ein weiterer Verdacht lässt sich nicht so leicht ausräumen: Der US-Amerikanische Verband der Zuckerindustrie hat in den letzten Jahrzehnten wohl systematisch wissenschaftliche Studien beeinflusst. Besonders bedeutsam war dabei eine Übersichtsstudie aus dem Jahr 1967 (New England Journal of Medicine 277: 186-192 und 245-247). Eine aktuelle kritische Bewertung dieser Veröffentlichung zeigt, wie in der Datenzusammenstellung auch Zuckerkonsum als relevanter Risikofaktor für Übergewicht und Herzinfarkt genannt wird, im Fazit aber nur Fett und Cholesterin für Herzerkrankungen verantwortlich gemacht werden – vom Zucker ist keine Rede mehr. Dieser „Fehler“ wurde möglicherweise dadurch motiviert, dass die Forscher damals ein ungewöhnlich hohes Honorar des Verbands der Zuckerindustrie erhielten.

Dass solche Effekte auch bei den zwischen 1990 und 2015 erstellten Veröffentlichungen (die für diese Meta-Studie ausgewertet wurden) wirksam wurden, kann nicht ausgeschlossen werden. Doch inzwischen fordern die meisten wissenschaftlichen Journals von ihren Autoren, dass sie finanzielle Förderung (sog. Interessenkonflikte) offen legen. Für die hier vorgestellte Studie sind solche Konflikte nicht bekannt.

So bleibt es beim kinderfreundlichen und elternnervenschonenden Fazit, dass eine süße Kindheit nicht für die runden Hüften im Erwachsenenalter verantwortlich ist - vielmehr ist das Gegenteil richtig: Naschen hält schlank.

Quellen:

Gasser, C.E. et al. (2016): Confectionery consumption and overweight, obesity, and related outcomes in children and adolescents: a systematic review and meta-analysis. American Journal of Clinical Nutrition 103: 1344-1356. doi: 10.3945/​ajcn.115.119883

Kearns, C.E. et al. (2016): Sugar Industry and Coronary Heart Disease Research - A Historical Analysis of Internal Industry Documents. JAMA Internal Medicine, online veröffentlicht am 12.09. 2016. doi: 10.1001/jamainternmed.2016.5394

Erstellt am 15. September 2016
Zuletzt aktualisiert am 15. September 2016

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