Wetter

Steiler Temperaturanstieg und stete Sonnenstrahlung stressen die Gesundheit

von Holger Westermann

Sommerwetter Schwarzwald

Medizinmeteorologie analysiert die Wechselwirkungen zwischen Wetter und Wohlbefinden. Dabei werden drei Wirkungskomplexe unterschieden: aktinischer, thermischer und lufthygienischer. In allen drei Dimensionen wird derzeit Alarmstufe erreicht. Nach wechselhaft kühlem Wetter fordert die hochsommerliche Hitzeepisode eine exorbitante Anpassungsreaktion des Körpers.

Der aktinische Wirkungskomplex beschreibt die biologisch wirksame Sonnenstrahlung; von Infrarot (IR, Wärmestrahlung, Wellenlänge 50 - 0,78 μm) über das sichtbare Licht (rot = 0,7 μm, grün = 0,55 μm, violett = 0,4 μm) bis zur energiereichen ultravioletten Strahlung (UV, ab 0,38 μm; UVA = 0,38 - 0,315 μm, UVB = 0,315 - 0,28 μm). Deren Wirkung auf Menschen ist vielfältig und provoziert positive und negative Effekte. Es gilt der Satz des Paracelsus (Philippus Aureolus Theophrastus Bombastus von Hohenheim, 1493–1541) in den Septem Defensiones von 1538: Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei. IR-Strahlung fördert die Durchblutung, senkt den Blutdruck und lindert Gelenkschmerzen. Allzuviel Wärme verstärkt den Wasserverlust, das Blut dickt ein, die Muskelspannung schwindet - infolgedessen steigen die Risiken für Hitzeschlag, Herzinfarkt und Sturzgefahr durch Schwindel. Sichtbares Licht triggert den Hormonhaushalt des Schlaf-Wach-Rhythmus und stabilisiert die Psyche; in grellem Sonnenschein leiden jedoch die Augen und Kopfschmerzepisoden häufen sich. Kurzwellige und damit energiereiche UV-Strahlung dringt tief in die Haut ein. Dadurch kann sich lebenswichtiges Vitamin-D3 (Cholecalciferol) bilden und mancheiner freut sich über sportlich anmutende Bräune; andererseits drohen Sonnenbrand und frühzeitige Faltenbildung.

Der lufthygienische Wirkungskomplex berücksichtigt natürliche und zivilisationsbedingte Luftbeimengungen wie Grob- und Feinstaub, Pollen (insbesondere Pollenbruchstücke) sowie auch gasförmige (beispielsweise Ozon, Stickoxide) und flüssige Stoffe. Für die Gesundheit relevant sind dabei vor allem die Reizstoffe für Atemwege. Sie schädigen unmittelbar Bronchien und Lunge, mittelbar aber auch Herz und Kreislauf sowie Psyche und mentales Leistungsvermögen (Motivation, Konzentrationsfähigkeit). Bei Hitze steigt die Konzentration von Stickoxiden (NOx) und Ozon (O3) in bodennahen Luftschichten. Gerade in Städten mit intensivem PKW-Verkehr ist die Belastung besonders groß. Besonders intensiv leiden Menschen mit Atemwegserkrankungen. Sie spüren die ansteigende Schadstoffkonzentration zuerst.

Während der Hitzeepisode dominiert jedoch der thermische Wirkungskomplex das Wohlbefinden. Dabei wird nicht nur der Thermometerwert berücksichtigt, sondern die gefühlte Temperatur, die auch andere Faktoren wie Windgeschwindigkeit und Luftfeuchte sowie direkte und indirekte Wärmestrahlung berücksichtigt. Menschen haben kein direktes Temperaturempfinden, sie spüren lediglich den Wärmeverlust über die Haut. Wind reduziert das Wärmeempfinden, Wärmestrahlung steigert es. Bei Luftfeuchte ist der Einfluss ambivalent: nasskalte Luft wird als kühler empfunden als der Thermometerwert anzeigt, schwüle Luft dagegen als drückend und wärmer. Die optimale Körpertemperatur beträgt beim Menschen 36,5°C. Aktive Muskeln und Organe erzeugen Wärme, die über die Haut abgeführt werden muss. Das Blut erwärmt sich im Körperzentrum und kühlt in den feinen Adern unter der Haut (große Oberfläche) ab. In kühler Umgebung gelingt das so gut, dass die aktive Blut-Haut-Luft-Kontaktfläche reduziert werden muss. Menschen wählen isolierende Kleidung und die Adern in der Haut ziehen sich zusammen, um den oberflächennahen Blutfluss zu reduzieren. Im warmer Umgebung ist luftige Kleidung angemessen und die Adern weiten sich, damit der Wärmetransport optimal funktioniert. Zur Unterstützung der kühlenden Wirkung bildet sich auf der Haut ein Wasserfilm. Die Verdunstungskälte verstärkt die Übertragung der Körperwärme an die Umgebungsluft. Ist warme Luft jedoch weitgehend mit Wasserdampf gesättigt (hohe relative Luftfeuchte) kann sie keine weiteren Wassermoleküle aufnehmen, die Feuchtigkeit verbleibt auf der Haut und rinnt ohne kühlenden Effekt den Körper hinab. Wer sichtbar schwitzt hat ein Problem die Wärme abzuleiten. Die gefühlte Temperatur liegt dann deutlich über dem Thermometerwert. Für den Organismus ist das eine Krisensituation. In erster Reaktion werden alle Aktivitäten eingestellt, die zusätzlich Wärme produzieren. Die körperlich und mentale Leitungsbereitschaft sinkt stark ab. Auch die Leitungsfähigkeit ist erheblich reduziert: Der Kreislauf macht schlapp und die Konzentrationsfähigkeit fällt auf persönliche Tiefstände.

Um die komplexe thermische Belastung standardisiert zu beschreiben hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) das Klima-Michel-Modell entwickelt. Der normierte Klima-Michel ist ein 35 Jahre alter Mann (Mitteleuropäer), 175cm groß, 75kg schwer mit einer Körperoberfläche von 1,9 m2, der aktuell aufrecht stehend eine Arbeitsleistung von 172,5 W (Watt) bzw. 135 W/m2 Oberfläche erbringt. Dies entspricht einem Spaziergang in der Ebene mit etwa 4 km/h, wobei der Klima-Michel, um sein thermisches Gleichgewicht herzustellen, seine Kleidung zwischen einer sommerlichen und winterlichen Variante variieren kann. Die sommerliche Standard-Kleidung besteht aus einer leichten langen Hose, einem kurzärmeligen Hemd und Sandalen (ohne Socken). Die berechnete gefühlte Temperatur, die auch Grundlage für die Menschenswetter-Vorhersagen ist, beschreibt das Temperaturempfinden dieses Standardmenschen in Form einer Äquivalenztemperatur ohne Wind und Sonnenstrahlung bei niedriger relativer Luftfeuchte.

Aufgrund des unterschiedlichen Stoffwechsels und des persönlichen Temperaturoptimums kann das thermische Empfinden von Mensch zu Mensch stark variieren. Neben unveränderlichen Parametern wie das Geschlecht oder sich unabänderlich verändernden wie das Alter ist auch der aktuelle Gesundheitszustand ein wichtiger Faktor für die individuelle Wohlfühltemperatur. Gerade für chronisch kranke Menschen mit dauerhaften oder immer wiederkehrenden Gesundheitsproblemen ist Hitze eine zusätzliche Belastung. Symptome verstärken sich oder es fällt schwer, die notwendigen Maßnahmen zur Linderung oder Kompensation der Symptome zuverlässig durchzuführen.

Derzeit dehnt sich „Burkhard“, ein flaches, aber ausgedehntes Hochdruckgebiet über West- und Mitteleuropas. Meteorologen sprechen von der Großwetterlage „Hoch Mitteleuropa" (wissenschaftliche Abkürzung HM). Dabei sind die Luftdruckgegensätze in Mitteleuropa sehr schwach, ausgleichende Luftströmung ist gering, es weht kaum spürbarer Wind. Die vorherrschende Luftbewegung ist nicht horizontal, sondern vertikal. Unter Hochdruckeinfluss sinkt die Luft in der mittleren und höheren Atmosphäre generell ab und erwärmt sich dabei adiabatisch (in Abhängigkeit vom ansteigenden Luftdruck) wodurch sich die relative Luftfeuchte reduziert, Wolken lösen sich auf. Durch die Absinkbewegung wird auch das Aufsteigen am Boden erwärmter Luftpakete gedämpft, die ansonsten an Sommernachmittagen Wärmegewitter erzeugen. Nichts trübt die intensive Strahlung der Sonne, die jetzt im Juli hoch am Himmel steht (> 60°) und mehr als 16 Stunden scheint.

So steigt die gefühlte Temperatur deutlich über 30°C. Im Südwesten kann das Thermometer am Mittwoch auf bis zu 37°C steigen - die gefühlte Temperatur wird wohl noch darüber liegen; entlang von Rhein, Mosel, Neckar und Main sind bis 40°C möglich. Damit ist eine hohe Wärmebelastung garantiert, der Deutsche Wetterdienst hat für einige Regionen bereits eine Hitzewarnungen herausgegeben. Auch im Norden Mitteleuropas steigt die Lufttemperatur, verharrt aber mit maximal 25°C auf einem Niveau, das die meisten Menschen angenehm empfinden.

Quellen:

Dipl.-Met. Lars Kirchhübel: Die Hitze kommt, der Körper leidet! Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 18.07.2016

Dipl.-Met. Thomas Ruppert: Großwetterlage "Hoch Mitteleuropa“. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 19.07.2016

Erstellt am 19. Juli 2016
Zuletzt aktualisiert am 19. Juli 2016

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