Erfolgsquote der Hypersensibilisierung könnte erheblich verbessert werden

Blütenstaubtrümmer eskalieren Pollenallergie

von Holger Westermann

Staub zu zerkleinern scheint kaum möglich. Doch Menschen mit Blütenstauballergie demonstrieren alljährlich, wie verbreitet das mühselig und pingelig erscheinende Verfahren in der Natur ist. Nicht die kompletten Pollen plagen Nase, Augen und Atemwege, sondern deren zertrümmerte Bestandteile - wobei sie sich in ihrer unsäglichen Wirkung wechselseitig verstärken. Bei manchen Betroffenen bis hin zu Asthma und Atemnot.

Sommergewitter veranschaulichen den Effekt perfekt. Kurz nachdem der Regen einsetzt ist die Belastung für Allergiker am größten. Denn der bei Sommerhitze getrocknete Pollen quillt in regenfeuchter Luft rasch auf und platzt. Erst dann werden die Allergene frei und reizen sensible Menschen. Noch kurz zuvor wirbelten zuhauf komplette Pollenkörner durch die Luft und provozierten kaum merkliche Reaktionen des Immunsystems (auch mechanisch aufgebrochene Pollen piesacken durchaus - aber in geringerem Umfang). Selbst der Effekt „Regen wäscht den Pollen aus der Luft“ wird zunächst durch das eruptive Zerlegen zahlreicher Pollen konterkariert. Erst ein halbe Stunde Gewitterregen erreicht den erhofften Reinigungseffekt der Luft, dann können allergiegeplagte Menschen wieder besser atmen.

Für Pollenallergiker ist die Birkenblüte ein zuverlässig unangenehmer Frühlingsbote. Birkenpollen gelten als besonders aggressive Allergieauslöser. Hauptverursacher der überschießenden Immunreaktion ist das Protein „Bet v 1“. Erst wenn dieses Eiweißmolekül Kontakt zu den Schleimhäuten erhält, tritt die typische Körperreaktion auf. Eingeschlossen in die solide Pollenhülle (durch Evolution konstruiert, den Unbill der Umwelt zu trotzen) bleibt die provozierende Wirkung des Proteins aus. Forscher der Technischen Universität München (Bayern, Deutschland) und des Helmholtz-Zentrums München interessierten sich nun für das Zusammenwirken von Bet v 1 und unspezifischen kleineren Molekülen aus den Pollen, von „nicht-allergenen niedermolekularen Substanzen“.

Sie nutzten sowohl den Prick-Test (Teststoffe werden mit feinen Nadeln in die Haut eingebracht) als auch die direkte Stimulation der Nasenschleimhaut für einen Vergleich der allergischen Provokation von Bet v 1 allein und in Kombination mit unterschiedlichen nicht-allergenen niedermolekulare Substanzen des Birkenpollens.

Wie von den Forschern erwartet, verursachten die niedermolekularen Substanzen allein keinerlei Effekt, während das isolierte Protein Bet v 1 bei Allergikern eine starke Reaktion provozierte. Wurden Allergen und nicht-allergene Pollenbestandteile gemeinsam appliziert war die Immunreaktion maximal: Hautrötung und -Schwellung beim Prick-Test sowie tränende Augen und verstärkte Schleimbildung beim Nasentest, jeweils begleitet von intensiver Antikörper-Produktion.

in einer zweiten Testreihe kombinierten die Forscher nicht-allergenen niedermolekulare Substanzen aus Birkenpollen mit Allergen-Proteinen aus Gräserpollen und applizierten sie Menschen mit einer Allergie gegen Gräser. Auch hier verstärkte sich die Wirkung der Allergene. „Die entzündliche Wirkung der niedermolekularen Bestandteile ist ein unspezifischer Effekt, der nicht mit einem bestimmten Allergen zusammenhängt“ erklären die Forscher in ihrem Fazit. So wird die Intensität der allergischen Reaktion vom Zusammenspiel der hoch spezifischen Allergen-Eiweiße (ob überhaupt eine überschießende Immunreaktion stattfindet) und einiger der rund 1.000 unspezifisch wirksamen niedermolekularen Substanzen aus den Pollen getriggert.

Die Wissenschaftler erhoffen sich von ihren Erkenntnissen eine Verbesserung der Erfolge von Hypersensibilisierungen. Dabei wird das Immunsystem von Allergikern mit einer Flüssigkeit, die alle Pollen-Bestandteile enthält, stimuliert. Dadurch geraten auch nicht-allergene niedermolekularen Substanzen in den Organismus. Dadurch fällt die Immunreaktion unnötig heftig aus; für den antiallergischen Effekt wäre eine Immunstimulation mit den jeweiligen Allergen-Proteinen ausreichend.

Bei 60 bis 70% der Patienten ist die Hypersensibilisierung erfolgreich - bei 30 - 40% nicht. Grund dafür könnte die entzündungsfördernde Wirkung der nicht-allergene niedermolekularen Substanzen sein, die eine qualifizierte Immunantwort verhindert. Die Forscher schlagen vor, zukünftig reine Allergen-Proteine einzusetzen - so wie bislang schon für Menschen, die allergisch gegen Bienen und Wespengift sind. Dann könnten noch mehr allergie-geplagte Menschen von der Hypersensibilisierung profitieren.

Quellen:

Gilles-Stein, S. et al. (2016): Pollen derived low molecular compounds enhance the human allergen specific immune response in vivo. Clinical & Experimental Allergy online veröffentlicht am 18.05. 2016. DOI: 10.1111/cea.12739

Westermann, H. (2013): Allergische Atemnot nach kühlendem Sommerregen. Menschenswetter Artikel 747, online veröffentlicht am 20.07.2013.

Westermann, H. (2016)
: Wetterempfindlichkeit bei Asthma. Menschenswetter Artikel 1394, online veröffentlicht am 13.06.2016.

Erstellt am 25. Juni 2016
Zuletzt aktualisiert am 25. Juni 2016

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